Mein Weg mit Buddha
wichtiger Schritt zum Verständnis der fundamentalen Frage nach Leben und Tod. Mir wurde damals klar, dass ich mit meinem Halbwissen und meiner selbstgestrickten Theorie über den Tod von einem tieferen Verständnis noch weit entfernt war. Ich glaube, es gibt keinen Menschen auf dieser Welt, dem ich dankbarer sein könnte als meinem Mann – dankbar dafür, dass er mir dieses immens wichtige Thema nahegebracht und mir Klarheit gegeben hat. Auch wenn wir inzwischen nicht mehr zusammen sind, hat er schon allein deswegen einen ewigen Platz in meinem Herzen.
An dem Tag, als ich mich von meiner Mutter verabschiedet habe, habe ich gespürt, dass das alles richtig so ist und dass die Angst nur in unserer Illusion besteht. Ich habe ihr ein leises Nam Myoho Renge Kyo ins Öhrchen geflüstert. Erst hat sie mich aus tiefblauen Augen erstaunt angesehen, dann folgte ein Lächeln, als ob sie sagen würde: »Ach ja, stimmt, diese Tasche sollte ich unbedingt mitnehmen auf meine Reise. Es war friedlich, hell und warm, nicht dunkel, kalt und trostlos, wie man im Allgemeinen annimmt.
So, Ihr Lieben, an dieser Stelle brauche ich eine Pause. Zu viele Bilder und Gedanken – wie Hummeln in meinem Kopf.
Ich werde nun meinen mit Teekannen und Mineralwasserflaschen vollgestellten Schreibtisch verlassen, mir etwas Warmes anziehen – man friert ja immer ein bisschen beim Fasten – und einen Spaziergang auf der Kurpromenade machen. Der Nebel über dem Bodensee hat sich inzwischen verzogen und gibt ein herrliches Panorama frei. Die Sonne kämpft sich langsam durch die Wolken. Ich setze mich, in meinen dicken Daunenmantel gehüllt, in der »Freiluft-Raucher-Lounge« vor dem Strandcafé in einen der weißen Korbsessel und bestelle mir verbotenerweise einen Kaffee, allerdings schwarz, ohne Milch und Zucker. Eine lässliche »Sünde«, befinde ich. Mein Kreislauf braucht einfach einen kleinen Schubs an diesem Nachmittag.
Ich habe das Geschriebene zum Weg Nummer vier noch einmal durchgelesen. Damals, an jenem Wochenende in der Normandie, unternahm ich die ersten Schritte …
»Wenn ich das also richtig verstehe«, nahm ich den Faden wieder auf, dem Gespräch mit meinem Mann eine etwas wissenschaftlichere Wendung gebend, »geht der Buddhismus konform mit der Evolutionstheorie.« – »Ja und nein, » entgegnete mein Mann, »in der Evolutionstheorie geht es zwar um das Entstehen von Leben, seine Entwicklung und anschließenden Auslöschung durch Tod …« »›Werden und Vergehen‹, wie die Dichter sagen«, unterbrach ich, weil ich fand, dass das gerade so schön passte. »Schon richtig, nur darfst du nicht vergessen: In der Evolution geht es ausschließlich um Materie und die eher oberflächliche Entwicklung des menschlichen Daseins in einer zeitlichen Abfolge. Der Buddhismus geht weit darüber hinaus. Daisaku Ikeda hat dazu Folgendes gesagt: ›Unsere Leben existieren und existierten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft immer gleichzeitig mit dem Universum. Sie sind weder vor dem Universum noch durch einen Zufall entstanden und sind auch nicht von einem übernatürlichen Wesen erschaffen worden. Nichiren lehrte, dass das Leben und der Tod die abwechselnden Erscheinungsformen unseres wahren Ichs sind und dass beide zum Wesen des Kosmos gehören.‹ Wie du siehst, ist dieser Rhythmus von Leben und Tod weitaus mehr als die Abfolge von ›Werden und Vergehen‹, wie du es eben so schön gesagt hast.«
»Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage«, grinste ich. An Shakespeare komme ich einfach nicht vorbei.
»Ich weiß, dass das dein Lieblingsautor ist. Und eigentlich liegt er ziemlich richtig damit, ich muss ihn nur ein bisschen korrigieren. Es muss heißen: Sein und Nichtsein, es gibt kein ›Oder‹. Tu peux me suivre – kannst du mir folgen?«
»Habe ich eine Wahl?«
»Bien. Du kennst Ke und Ku, den geistigen und den physischen Aspekt des Lebens, ja?« Ich nickte. »Und wenn ich ›Leben‹ sage, dann meine ich das ›große Ganze‹, nicht nur das, was gerade hier auf der Erde stattfindet. Okay? Es ist wichtig, dass du verstehst, dass eigentlich alles permanent, immer und ewig, existiert – oder auch nicht existiert – je nachdem, wie die Bedingungen sind.«
»Du meinst, dass die, nennen wir es einmal ›Nichtexistenz‹, dass sie das sichtbare Leben, also die ›Existenz‹ in sich trägt. Wenn also zum Beispiel eine Eizelle befruchtet wird, ist die Bedingung geschaffen, dass das Unsichtbare sichtbar wird. Es fängt aber nicht
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