Mein Weg mit Buddha
aufgrund seiner Erfahrungen die Mitglieder zu unterstützen und zu ermutigen. Ein Leiter gibt auf keinen Fall Anweisungen. Wenn Kritik geübt werden muss, wird das mit Liebe und nicht besserwisserisch getan. Ich selbst befand mich ausgerechnet während eines Kurses in Trets einmal in einer solchen Situation. Es war verdammt schwer, mein kleines Ego zurückzupfeifen und der betreffenden Dame mit aller Liebe und Güte, sanft wie ein Lämmchen, zu erklären, dass es respektlos ist, in einer Zimmergemeinschaft auf wenigen Quadratmetern jeden Morgen um halb fünf eine Stunde zu duschen und anschließend das taillenlange Haar einer ausgiebigen Föhn-Behandlung zu unterziehen. Für solche Prozeduren gibt es am Nachmittag immer ein Zeitfenster. In einer gewissen Weise war es der Buddhazustand, der mich dazu befähigte, so mit ihr zu reden. Ansonsten wäre ich ihr höchstwahrscheinlich an die Gurgel gegangen …
Der Buddha ist in Trets allgegenwärtig, denn alle arbeiten daran, ihn aus der Tiefe ihres Lebens hervorzubringen. Man spürt das an der Fröhlichkeit und Aufgeschlossenheit der Menschen. Jeder kommt hierher nach Trets mit seinem ganz persönlichen karmischen Gepäck, mit seinen Problemen, Schwierigkeiten und Mustern, die er auflösen will. Die Entschlossenheit jedes Einzelnen überträgt sich auf die Gruppe. Dazu trägt auch das gemeinsame Chanten bei. Die universelle Lebenskraft potenziert sich ins Hundertfache.
In meinem ersten Kurs erlebte ich das alles wie ein Frischling – naiv, staunend, mit großen Augen und weit aufgesperrten Ohren. Ich sog das zu Lernende auf, machte Notizen wie ein Student im Hörsaal und war von den Erfahrungen und Entschlüssen, die manche Mitglieder mutig vor versammelter Mannschaft vortrugen, tief berührt. Niemals wäre mir in den Sinn gekommen, dass auch ich einmal dort oben auf der Bühne stehen würde, vor dem Europa-Gohonson, an einem Rednerpult mit Mikrofon, um vor allen Kursteilnehmern meine eigene Geschichte vorzutragen, die Geschichte einer Reise durch die Welt meiner ganz persönlichen Hölle . Damals, im Juli 1998, war meine Welt noch vollkommen in Ordnung. Genau 13 Jahre später sollte das ganz anders sein …
»Wir haben heute Abend gemeinsam Tischdienst, hast du das gesehen?«, sprach mich eine sommersprossige, rothaarige Frau an, die offensichtlich aus Deutschland stammte. »Ich bin C. – ich lebe auf Mallorca. Die Mitglieder in Deutschland haben ihre eigenen Kurse, deshalb nehme ich immer an den internationalen Trainingskursen teil. Komm, ich zeige dir alles. Ich kenne mich aus, denn ich komme schon seit über zehn Jahren hierher. Um den laufenden Betrieb hier im Zentrum kümmern sich die anwesenden Mitglieder. Personal gibt es nur in der Küche, den Rest machen wir. Draußen an der Rezeption hängt eine Liste, auf der steht, wer welche Aufgaben übernehmen muss.«
Alles klar. Ich decke mit meiner Neubekanntschaft C. und einigen anderen die Tische fürs Abendessen ein. Es fühlte sich ein bisschen an wie Schullandheim, jedoch mit einem kleinen Unterschied: Hier würden wir mit Sicherheit nicht mehr unseren Lehrerinnen das Nachthemd am Bettlaken festnähen. Einige von Ihnen, verehrte Leser, besitzen vielleicht Erfahrungen mit Seminaren. Der Aufenthalt in Trets gestaltet sich ähnlich: Es gibt einen ausgearbeiteten Stundenplan mit regelmäßigen Pausen, in denen man Zeit hat für persönliche Gespräche sowie die Möglichkeit, das Gelernte zu verarbeiten. Das gemeinsame Gebet, also das Chanten sowie die Zeremonie des Gongyo verbinden uns nach dem Prinzip von »Viele Körper – ein Geist« jedoch bedeutend stärker miteinander, als gewöhnliche Seminarteilnehmer es erleben. Die Kursbesucher in Trets teilen alles miteinander, ihren Glauben, ihre persönlichen Sorgen (wenn sie das wollen), ihre Arbeitskraft und das Essen. Es gibt keine Bestellungen nach Karte, auf Zehnertischen werden mehrere Platten aufgestellt, die gerecht geteilt werden. Hungern muss hier niemand und da wir in Frankreich sind, gibt es selbstverständlich auch Wein. Und Fleisch. Das ist schließlich kein tibetanisches Kloster!
Apropos Essen – ich werde oft gefragt, ob ich Vegetarierin bin. Viele gehen davon aus, weil sie das irgendwie für »buddhistisch« halten. Nein, ich bin es nicht. Wie Sie wahrscheinlich inzwischen mitbekommen haben, ist der Buddhismus Nichiren Daishonins, den ich praktiziere, ein Buddhismus der Vernunft und somit nicht jenseits-, sondern diesseitsbezogen, eine Philosophie,
Weitere Kostenlose Bücher