Mein Wille geschehe
ihn. »Mensch, und da habe ich dich immer für
meinen Fels in der Brandung gehalten«, sagte
sie. »Und nun stellt sich raus, dass du in Wirk-
lichkeit eine Qualle bist.« Er gluckste. »Ich versuch ja nur, hilfreich zu sein«, sagte er.
»Bist du immer.«
»Bist du bereit für morgen?«
»Ich wüsste nicht, wann ich jemals bereiter ge-
wesen wäre in einem Prozess«, sagte sie. »Und
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dennoch bin ich auch nicht bereit.«
»Weil du innerlich beteiligt bist«, meinte Sam.
»Vielleicht mehr als jemals zuvor und als du dir
selbst eingestehst.«
»Ich glaube ihm«, erwiderte sie. »Ich glaube ihm
wirklich. Ich glaube nicht, dass er etwas mit dem Anschlag zu tun hatte.« Sie seufzte. »Das lässt
sich schwer erklären.«
»Versuch es«, drängte er sie.
»Im Grunde ist es so, dass unsere Arbeit als Ver-
teidiger zu neunundneunzig Prozent daraus be-
steht, ein Loch zu schaffen, durch das der Man-
dant entkommen kann, ob er nun unschuldig ist
oder schuldig. Nicht fragen, nichts sagen – es
muss uns egal sein. Aber diesmal ist es mir nicht egal. Diesmal ist es mir wichtig. Und ich habe
solche Angst, dass ein winziger Fehler von mir
Corey Latham den Tod bringen könnte.«
»Ich glaube, man trägt eine unglaubliche Ver-
antwortung in dieser Position«, sagte Sam. »Aber
ich glaube auch, mit dir an seiner Seite hat er
schon halb gewonnen.« Dana sann über seine
Worte nach. »Während des Studiums«, sagte sie
dann, »haben wir gelernt, dass es gefährlich ist, sich für einen Mandanten gefühlsmäßig zu enga-gieren, weil das die Urteilsfähigkeit beeinträch-
tigt.«
»Ich spreche natürlich nur aus meiner persönli-
chen Erfahrung«, sagte Sam und streichelte ihren
Nacken, »aber ich muss sagen, dass es die Ur-
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teilsfähigkeit auch fördern kann, wenn man sich
emotional einlässt.«
Dana seufzte, halb verzweifelt, halb erleichtert.
»Ohne dich würde ich das gar nicht schaffen,
weißt du«, sagte sie. »Ich weiß.«
»Dieses Interview, das mein Ex diesem Boule-
vardblatt gegeben hat: Da war schon was Wahres
dran, das muss ich zugeben.«
»Das weiß ich auch.«
»Und du bist immer noch da?«
»Hm.«
»Warum?«
Er zuckte die Achseln. »Vermutlich, weil ich wohl genau hier sein will.«
Sie schlang die Arme um ihn. »Ich hab doch
Recht gehabt«, sagte sie. »Du bist der Fels in der Brandung.«
»Ja, in der Tat«, sagte er lachend. »Und das kann ich dir im Moment auch noch beweisen.« Er
schob ihr Nachthemd hoch.
»Oh«, sagte sie und kicherte nervös, weil es so
lange her war, seit sie zum letzten Mal miteinan-
der geschlafen hatten. »Ich bin ständig so abge-
lenkt, dass ich wahrscheinlich gar nicht mehr
weiß, wie das geht.«
»Hm«, antwortete er und folgte der Spur seiner
Hände mit den Lippen. »In diesem Fall wird es
mir ein Vergnügen sein, deinem Gedächtnis auf
die Sprünge zu helfen.«
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»Rufen Sie bitte Ihren ersten Zeugen auf, Mrs
McAuliffe«, sagte Abraham Bendali um zehn Uhr
am Dienstagmorgen. Dana erhob sich. Sie trug
ein beigefarbenes Kostüm und Pumps in dersel-
ben Farbe, dazu eine schlichte Goldkette. Sie sah elegant, aber nicht extravagant aus. »Die Verteidigung bittet Dr. Ronald Stern in den Zeu-
genstand«, sagte sie.
Der sechsundfünfzigjährige Psychiater, der in
Harvard studiert hatte, bewegte sich mühsam
zum Zeugenstand. Sein rechtes Bein war auf
Grund einer Erkrankung an Polio verkrüppelt, und
er konnte sich nur mit Hilfe einer Beinschiene und einer Krücke bewegen.
Die Leute beobachteten angespannt, wie er sich
in den Zeugenstand hangelte und dann sein Ge-
wicht verlagerte, um den Eid ablegen zu können.
Danach ließ er sich umständlich auf dem Stuhl
nieder, und alle hörten zu, als er seinen beruflichen Hintergrund erläuterte.
Er war emeritierter Professor der Kriminalistik.
Sein Arbeitsschwerpunkt lag bei der Erforschung
krimineller Verhaltensmuster, und in den letzten
beiden Jahrzehnten hatte er sich vor allem auf
die Psychologie des Terrorismus spezialisiert. In den vergangenen sechs Monaten war er nach Cedar Falls, Annapolis, Orlando, Charleston und
Groton gereist und auch fünfzehnmal in Seattle
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gewesen. »Dr. Stern«, begann Dana, als man ihn
als Sachverständigen aufgenommen hatte, »wie
viel bezahlen wir Ihnen für Ihre Aussage hier?«
Einige der Geschworenen blinzelten, und Brian
Ayres am Tisch der Anklage lächelte in sich hin-
ein. Er wusste, dass Dana Reid McAuliffe
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