Mein Wille geschehe
Sie nicht die richtigen Verdächtigen an der Hand«, schlug Corey vor.
»Könnte man so sehen«, sagte Brian, »doch eine
Ermittlung folgt den Spuren und den Beweisen,
nicht andersherum. Das ist zwar nicht wissen-
schaftlich, doch man erreicht damit meist sein
Ziel.«
»Nur dieses Mal nicht.«
»Wie stehen Sie zur Abtreibung, Mr Latham?«
»Ich bin dagegen.«
»Bei Ihrer Familie oder allgemein?«
»Bei meiner Familie auf jeden Fall. Ich achte das Leben, wie Gott es von uns verlangt. Aber für
andere Menschen kann ich nicht entscheiden.«
»Ihnen liegt nicht sehr viel daran, dass die Ab-
treibung wieder gesetzlich verboten wird?«
»Ich bin kein besonders politischer Mensch.«
653
»Aber ein religiöser, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sie sagten zuvor, dass Sie jeden Tag beten und
dass Sie sich darauf verlassen, dass Gott Ihnen
den rechten Weg zeigt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Kann ich also davon ausgehen, dass Sie den
Wegen, die Gott Ihnen vorgibt, weitgehend fol-
gen?«
»Ich hoffe, dass es mir gelingt.«
»Nun, und würden Sie auch Gottes Weg folgen,
wenn Sie selbst eigentlich in eine andere Rich-
tung gehen wollten?«
»Der Mensch ist fehlbar«, antwortete Corey mit
einem Lächeln, »Gottjedoch nicht.«
»Würden Sie also in jedem Fall Gottes Richtung
einschlagen?«
»Ja, gewiss.«
»Immer?«
»Ich glaube schon.«
»Aber was würden Sie tun, wenn Gott etwas von
Ihnen verlangte, eine Handlung, die gegen die
Gesetze der Menschen verstößt?«
»Ich glaube, dass eine Tat Gottes niemals falsch
sein kann«, antwortete Corey, ohne nachzuden-
ken. »Ich glaube daran, dass der Mensch in Ei-
nigkeit leben soll mit Gott. Wenn es also wirklich keine Übereinstimmung geben sollte, dann müss-te man vielleicht die Gesetze der Menschen neu
gestalten.«
654
Ein leises Raunen lief durch den Raum, und eini-
ge Geschworene blickten etwas verunsichert.
»Ich danke Ihnen«, sagte Brian zufrieden. »Keine
weiteren Fragen an diesen Zeugen.«
»Corey«, übernahm Dana wieder, »der Ankläger
hat Sie gerade gefragt, ob Sie im Wesentlichen
bereit wären, gegen das Gesetz zu verstoßen,
wenn Sie es für Gottes Wille halten. Wollten Sie
diese Frage tatsächlich bejahen?«
»Nein«, sagte er erschrocken. »Ich dachte, er
spräche über meinen Glauben im Allgemeinen.«
»Dann möchte ich Sie etwas ganz Konkretes fra-
gen. Hat Gott Ihnen aufgetragen, diese Menschen
in Hill House zu töten?«
»Nein«, gab er zur Antwort. »Natürlich nicht. Das hätte ich niemals getan, und Gott hätte mir das
auch niemals aufgetragen.«
»In diesem Fall, Euer Ehren«, erklärte die Anwäl-
tin mit einem beredten Achselzucken, »beendet
die Verteidigung ihre Befragung.«
655
26
Abraham Bendali sprach selten außerhalb des
Gerichtssaals über einen Prozess, und noch selte-
ner kam es vor, dass er mit seiner Frau darüber
sprach.
»Ich möchte nicht einer der Geschworenen sein«,
sagte er an diesem Abend beim Essen. »Um kei-
nen Preis der Welt.«
»Keine Sorge, das passiert dir sowieso nicht«,
erwiderte Nina Bendali mit einem Lachen. »Du
weißt viel zu viel.«
»Richter sollen dafür sorgen, dass der Angeklagte so lange als unschuldig betrachtet wird, bis seine Schuld bewiesen ist«, sagte er. »Doch viele von
uns behaupten nur, dass sie das tun. Wir sollen
unvoreingenommen sein. Oder wenigstens vor-
täuschen, dass war es sind. Aber meist wissen
wir schon ziemlich genau Bescheid.«
»Natürlich.«
»Nur bei diesem Prozess klappt das nicht. Ich bin so verwirrt wie alle anderen. Und das macht mir
Kopfschmerzen.«
»Ich koche dir einen Kamillentee«, bot Nina an.
»Ich bin müde«, sagte er. »Ich bin so furchtbar
müde.«
»Ich weiß«, entgegnete Nina. »Deshalb ist das ja
auch dein letzter Prozess.«
Er sah sie überrascht an. »Woher weißt du das?«
656
»Was?«, erwiderte sie. »Glaubst du wirklich, ich
könnte dreiundvierzig Jahre mit dir verheiratet
sein und nicht alles über dich wissen?«
»Alles?«, fragte er. Er wusste, dass ihn das ei-
gentlich beunruhigen sollte, aber im Grunde fand
er die Vorstellung tröstlich. »Alles«, bestätigte sie und sah ihm in die Augen.
Dana und Joan arbeiteten bis spät in die Nacht an dem Schlussplädoyer, ließen sich etwas zu essen
kommen, erörterten gemeinsam Ideen, schliffen
und polierten sie, bis sie vollkommen waren. Ob-
wohl beide Anwältinnen wussten, dass die Ge-
schworenen vermutlich nicht mehr überzeugt
werden
Weitere Kostenlose Bücher