Mein Wille geschehe
Dana.
»Bitte.«
»Danke, Euer Ehren.« Dana erhob sich und
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knöpfte die Jacke ihres burgunderroten Kostüms
zu, während sie langsam zur Geschworenenbank
schritt.
»Während des Plädoyers des Herrn Staatsanwalts
gestern wurde mir bewusst, was wir hier eigent-
lich tun«, begann sie und sah dabei jeden Ge-
schworenen an. »Wir manipulieren Meinungen.«
Einige der Geschworenen blickten verwirrt. »Ganz
recht, wir sind Meinungsmacher«, fuhr Dana fort.
»Uns liegen dieselben Informationen vor, und wir
drehen und wenden sie, malen sie an und ste-
cken sie in bestimmte Kleider, bis wir glauben,
dass sie sich dazu eignen, unsere jeweilige Positi-on zu verdeutlichen. Nun werden Sie vielleicht
fragen: Wie kann das sein? Wie kann ein und die-
selbe Information unterschiedlich dargestellt
werden? Die Antwort darauf muss natürlich lau-
ten: weil jede Geschichte zwei Seiten hat. Und
wie Politiker, die um Ihre Stimme werben, versu-
chen auch wir, unsere Position möglichst über-
zeugend darzustellen. Weil wir in gewisser Weise
auch um Ihre Stimme werben.«
Nun hatten alle ihre Aussage verstanden, und
John Quinn nickte sogar.
»Gibt es auch bei dieser Geschichte zwei Sei-
ten?«, fragte Dana. »Darauf können Sie wetten.
Sie sind so gegensätzlich, wie man es sich nur
vorstellen kann. Gestern hat Ihnen der Herr
Staatsanwalt die Sichtweise der Anklage vorge-
tragen. Heute möchte ich die Seite von Corey
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Latham einnehmen. Und, keine Sorge, ich werde
Sie nicht ablenken von den Tatsachen, indem ich
hier stehe und eine Bombe bastle, während ich
rede. Im Gegenteil, ich möchte, dass Sie sich nur auf das konzentrieren, was ich sage. Denn Sie
sollten sich Ihr Urteil anhand der nüchternen Fakten bilden – nicht anhand von Taschenspieler-
tricks.« Die Geschworenen schienen sich zu ent-
spannen.
»Die Anklage hat unterstellt, dass die Polizei nur den Spuren gefolgt ist, die sie zum Täter führten.
Doch ich habe den Verdacht, dass es sich genau
andersherum verhielt. Da arbeitete schließlich die Elite der Polizei von Seattle einen ganzen Monat
lang am größten Fall in der Geschichte der Stadt
und hatte nichts vorzuweisen. Auch wenn das
traurig und frustrierend ist, meine Damen und
Herren: Nicht jedes Verbrechen kann aufgeklärt
werden. Manchmal liegen einfach nicht genügend
Beweise vor, um jemanden zu verhaften und an-
zuklagen. Doch in diesem Fall durfte das nicht
passieren, denn es handelte sich um ein beson-
deres Verbrechen, und der Druck der Öffentlich-
keit auf die Polizei war gewaltig. Dann trifft eines Tages aus heiterem Himmel ein anonymer Brief
ein. Und von diesem Momentan wurden in diesem
Fall nicht mehr die Spuren verfolgt, sondern man
konzentrierte sich darauf, den Marineoffizier zu
finden, von dem in diesem Brief die Rede war,
und die Beweise entsprechend um ihn herum zu
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arrangieren.«
Brian stellte zu seinem Bedauern fest, dass die
Geschworenen von Danas Rede ebenso gebannt
zu sein schienen wie von seinem Vortrag. Karleen
McKay schienen fast die Augen aus dem Kopf zu
fallen.
»Hatte man mit Jack Pauley bereits einen recht
guten Kandidaten an der Hand?«, fragte Dana.
»In der Tat, aber irgendwie scheint er bei den
nachlässigen Ermittlungen untergegangen zu
sein. Und er ist nur einer, auf den wir stießen. Es könnte auch noch andere potenzielle Verdächtige
geben. Doch nein, die Polizei stürzte sich auf Corey Latham, beschloss, dass er als Verdächtiger
geeignet war, und schaute sich nicht mehr nach
anderen um.«
Dana legte eine kurze Pause ein, und Allison A-
ckerman lächelte in sich hinein. Das Timing der
Verteidigerin war perfekt. »Oberflächlich betrachtet«, fuhr Dana fort, »mag es überzeugend wir-
ken, dass man in Coreys Wagen und seiner Gara-
ge die Spuren dieser Materialien fand«, erklärte
Dana, »doch wenn man genauer hinschaut, gibt
es für jede einzelne Spur eine vernünftige Erklä-
rung. Was ich viel bedeutsamer finde, ist, welche Spuren nicht gefunden wurden. Es gab nirgendwo Spuren von Methylalkohol, von Wachs, von Vaseline. Will man damit unterstellen, dass Corey
nachlässig gearbeitet hat oder dass er schlampig
sauber gemacht hat?« Sie schüttelte den Kopf.
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Stuart Dünn runzelte die Stirn. »Die Anklage
stellt all diese Zufälle als Grund für einen Schuldspruch dar, wenngleich sie in Wirklichkeit nichts anderes sind als eben nur Zufälle. Ob es nun ein
dummer Zufall war oder nicht:
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