Mein Wille geschehe
Ms Mc-Auliffe«, sagte Elise heftig. »Ich hatte eine Abtreibung. Ich stamme aus einer katholischen
Familie und habe eine Abtreibung vornehmen las-
sen. Wissen Sie, was das bedeutet? Meine Eltern
sollten nie davon erfahren, aber die Presse und
die Fernsehleute haben ihnen natürlich jedes
noch so scheußliche Detail auf die Nase gebun-
den. Jetzt behandeln sie mich, als hätte ich Lep-
ra. Meine eigene Familie. Ich habe darum gebet-
telt, nach Hause kommen zu dürfen, nur für eine
Weile, bis sich die Wogen geglättet haben und
meine Viertelstunde Ruhm vorbei ist. Wissen Sie,
was ich da zu hören gekriegt habe? Dass ich mir
meine Lage selbst zuzuschreiben habe. Vielleicht
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brauche ich also selbst Unterstützung.«
Dana wählte ihre Worte sorgsam, denn sie spürte
ein gewisses Unbehagen. »Falls Ihnen das ein
Trost ist«, sagte sie schließlich, »ich bin auch in einer katholischen Familie aufgewachsen.«
»Na, dann verstehen Sie mich vielleicht doch«,
räumte Elise ein. »Ich bin erst siebenundzwanzig, um Himmels willen. Mein Leben ist vorbei, und
ich habe keine Ahnung, wie das passieren konn-
te.«
»Hören Sie, mein Hauptanliegen ist natürlich Co-
reys Verteidigung«, sagte die Anwältin, »aber Sie sollten wissen, dass ich auch für Sie jederzeit zur Verfügung stehe. Auch wenn Sie einfach nur mit
jemandem reden müssen.«
»Hm, ist gut, danke«, erwiderte Elise. Ihre Stim-
me klang dumpf, und sie sah zum Fenster hinaus,
wo andere Menschen ihren alltäglichen Verpflich-
tungen nachgingen, als sei alles in der Welt in
Ordnung.
Dana betrachtete die junge Frau. Die großen grü-
nen Augen, mit dezentem Lidschatten und Masca-
ra betont, waren ausdruckslos. Oder weniger
ausdruckslos als vielmehr leer, befand die Anwäl-
tin.
»Glauben Sie, dass es sich möglicherweise doch
nicht um einen verhängnisvollen Irrtum handeln
könnte?«, fragte Dana. »Ich meine, halten Sie es
für möglich, dass Ihr Mann diese Bombe tatsäch-
lich gelegt hat?«
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»Erst die Polizei und jetzt Sie.« Elise schüttelte müde den Kopf. »Nein, das halte ich nicht für
möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich
mit jemandem verheiratet sein soll, der so etwas
Schreckliches tut, ohne dass ich es merke. Aber
hundertprozentig sicher kann man wohl nie sein,
oder?«
»Haben Sie der Polizei gesagt, dass Corey in der
betreffenden Nacht bei Ihnen war?«
»Ja, natürlich. Wir haben uns die Zehn-Uhr-
Nachrichten angesehen, eine Tasse Kakao ge-
trunken und sind dann ins Bett gegangen, wie
immer während der Woche. Die Polizei meint, ich
könnte ihm kein Alibi geben, weil ich geschlafen
hätte, aber ich wäre aufgewacht, wenn er aufge-
standen wäre. Ich bin immer aufgewacht, wenn
er mitten in der Nacht aufstand, um zum Klo zu
gehen.« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Da war ich jedes Mal wütend auf ihn, weil er mich ge-weckt hatte. Und heute gäbe ich alles darum,
wenn er das wieder tun würde.«
Dana nickte. Diese Reaktion war ihr vertraut; so
hatte sie empfunden, als Mollys Vater sie verließ.
»Und in den Wochen vor dem Anschlag«, hakte
sie nach, »gab es da irgendetwas in seinem Ver-
halten, das Ihnen sonderbar oder auch nur ein
bisschen ungewöhnlich vorkam?«
Elise zuckte die Achseln. »Die Abtreibung hat er
schlecht verkraftet«, gab sie zu. »Und ich habe
die Sache verschlimmert, indem ich ihn zuerst
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angelogen habe. Aber dann schien er sich damit
abgefunden zu haben.« Sie hielt inne. »Ich weiß
nicht recht, was Sie meinen«, fügte sie schließlich hinzu. »Ich meine, wie sollte ich irgendwas Sonderbares bemerken? Sicher, wir sind verheiratet
und alles, aber wenn ich’s mir richtig überlege,
kenne ich ihn doch kaum.«
Dana stieg in ihren Wagen und blieb eine Weile
reglos dort sitzen, die Schlüssel in der Hand. Sie brauchte Elise Latham als Zeugin, denn sie war
die einzige Person, die Corey ein Alibi geben
konnte. Und wenn sie jetzt nicht sehr behutsam
mit der jungen Frau umging, würde die ganze
Sache im Handumdrehen zum Albtraum geraten.
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Nur Stunden, nachdem Corey Lathams Name of-
fiziell bekannt gegeben wurde, wurde das weiße
Holzhaus am Ende einer stillen, von Bäumen ge-
säumten Straße in Cedar Falls in Iowa belagert.
»Bitte lassen Sie uns doch in Ruhe«, versuchte
Dean Latham den Reportern mitzuteilen, die über
seinen Rasen stürzten und die Rabatte seiner
Frau zertrampelten. »Wir haben nichts zu
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