Mein Wille geschehe
Polizei
den Fall einfach als abgeschlossen.«
»Wie ich gehört habe, nahm Corey offenbar re-
gelmäßig an Ihren Treffen teil«, sagte Jessup.
»Wie kam er denn Ihrem Eindruck nach damit
zurecht, dass er sein Kind verloren hatte?«
»Ich konnte nur bis Februar an den Treffen teil-
nehmen, danach war ich eine Weile nicht in der
Stadt«, antwortete Feary. »Aber ich weiß, dass
sich die anderen getroffen haben, die könnten
Ihnen vielleicht weiterhelfen.«
Die anderen sahen sich an und schienen nach der
richtigen Antwort zu suchen. Schließlich meldete
sich die junge Frau zu Wort, die es bereute, eine Abtreibung vorgenommen zu haben.
»Wie uns allen«, sagte sie leise, »half Gott auch 183
ihm, einen Weg zu finden.«
»Ich scheine allmählich krankhaft misstrauisch zu werden«, sagte Louise. »Das hört sich ja an, als
seien sie alle nette Menschen, aber die kennen
den Jungen doch kaum. Wieso bringen sie solche
Opfer, um für seine Verteidigung aufzukommen?«
Jessup nickte. »Und noch dazu so eine teure«,
murmelte er, »wenn man auch für weit weniger
einen guten Anwalt hätte bekommen können. Ich
frage mich, ob sie das tun, weil sie ihn wirklich für unschuldig halten, oder weil sie fürchten, er sei womöglich der Täter.«
»Aber wieso loben sie ihn dir gegenüber so, wenn
sie ihn für den Täter halten?«, wandte Louise ein.
»Und, was haben Sie rausgefunden?«, erkundigte
sich Dana. »Bis jetzt«, berichtete Jessup, »ergibt sich lückenlos das Bild eines besonnenen, für-sorglichen, friedfertigen jungen Mannes, der nicht einmal auf eine schlafende Kakerlake treten wür-de, geschweige denn einen Haufen unschuldiger
Menschen in einer Klinik in die Luft jagen würde.
Es sei denn, er sei durchgedreht. Wofür wir bis
dato keinerlei Hinweise haben.«
»Stimmt mit meiner Wahrnehmung überein«,
bemerkte Dana. »Also, was übersehen wir?«
Jessup kratzte sich am Ohr. »Ich weiß nicht
recht. Irgendwas an der Geschichte gefällt mir
nicht. Als ich am ersten Abend mit dem Fall nach
Hause kam, dachte ich, Louise lässt sich auf der
Stelle scheiden. Sie war so aufgebracht darüber,
184
dass ich für – wie sagte sie doch gleich? – die
Bestie arbeiten würde, die Hill House in die Luft gesprengt hat. Aber jetzt, wo sie an dem Fall beteiligt wird, glaubt sie längst nicht mehr vorbe-
haltlos an seine Schuld, auch wenn sie nicht völ-
lig von seiner Unschuld überzeugt ist. Und das
finde ich beunruhigend.«
»Wieso?«, fragte Dana, der seine Argumentation
nicht einleuchtete.
»Schauen Sie, ich stehe gerade mal am Anfang
meiner Ermittlungen«, erklärte er. »Und Louise
ist schon jetzt der Meinung, dass die Anklage
ganz schlechte Karten hat. Es geht hier um Hill
House, um Himmels willen. Sie kannte viele Leu-
te, die bei dem Anschlag umgekommen sind,
Freunde von ihr. Ich würde durchaus erwarten,
dass sie sich auf die Seite der Leute schlägt, die Latham am liebsten lynchen würden. Stattdessen
versucht sie mich davon zu überzeugen, dass
man den Falschen angeklagt hat. Was stimmt
nicht an diesem Bild?«
Dana zuckte die Achseln. »Keine Ahnung, aber
ich muss zugeben, dass ich auch auf Louises Sei-
te bin.«
»Auf die Gefahr hin, dass ich meinen Ruf ruinie-
re«, sagte Jessup, »aber ich gehöre auch dazu.«
»Gut«, sagte Dana. »Dann brauchen wir nur noch
zwölf Leute, die auch so denken und sich auf die
Geschworenenbank setzen.«
»Tja, das wird die Staatsanwaltschaft wohl zu
185
verhindern wissen«, bemerkte Jessup. »Kaum
war die Anklage erhoben, flitzten die Aufrührer
los, um ihre Ansichten zu verbreiten. Ein Haufen
mieser Meinungsmacher.«
Dana wusste, dass die meisten Menschen auch
nach einer Tragödie solchen Ausmaßes wie dem
Anschlag auf Hill House nach einer Weile ihr nor-
males Leben wieder aufnahmen. Drei Monate wa-
ren seither vergangen, und der Prozess würde
erst im September stattfinden. Sie verstand, wa-
rum Brian Ayres dafür sorgen wollte, dass die
Leute emotional nicht zur Ruhe kamen. Das hätte
sie an seiner Stelle auch getan.
»Das bedeutet«, sagte sie, »dass sie die poten-
ziellen Geschworenen aufhetzen wollen.«
»Aber weshalb?«, fragte Jessup. »Wenn der Fall
auf festen Füßen steht, warum müssen sie dann
zu so billigen Methoden greifen?«
»Gute Frage«, entgegnete Dana. »Werden Sie
eine Vertagung beantragen?« Dana schüttelte
den Kopf. »Corey möchte das nicht. Er will so
schnell wie möglich aus
Weitere Kostenlose Bücher