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Mein wirst du sein

Mein wirst du sein

Titel: Mein wirst du sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Rodeit
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Mark. Oder an allem zusammen.
    Ich ging um den Tisch herum, kniete vor ihm auf den Boden und nahm ihn in den Arm. Er wehrte sich gegen die Umarmung, aber ich ließ ihn nicht los. Ein Kloß war in meinem Hals aufgestiegen, und er ließ sich nicht zurückdrängen. Mir selbst rannen Tränen über die Wangen, und ich schluchzte. Leon wurde ruhiger in meinem Arm und ließ sich halten.
    Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen war, ehe ich mich wieder aufrichtete und eine Runde Taschentücher ausgab. Ich räusperte mich.
    »Was machen wir jetzt mit uns beiden?«, fragte ich, um etwas zu sagen. Das Sprechen fiel mir schwer.
    Leon zuckte mit den Schultern und sah mich von unten unsicher an. Ein klasse Bild hatte ich abgeliefert. Ich, die coole Privatdetektivin, die stets alles unter Kontrolle hatte. Wenn er sich jetzt jemand anderen suchte, war ich selbst schuld. Plötzlich war mir wichtig, dass er Vertrauen zu mir hatte und nicht aus der Wohnung rannte.
    »Eines ist klar, das bleibt unter uns, okay?«
    Er nickte. Seine Augen schwammen noch immer in Tränen. Er schnäuzte sich geräuschvoll. »Was ist denn los mit dir?«
    »Oh, ich würde sagen, ich habe eine beschissene Nacht hinter mir. Entschuldigung. Darf ich das überhaupt sagen?«
    »Du meinst wegen beschissen ? Das ist schon okay. In der Schule sagen sie ständig solche Worte.« Er nickte. »Die Polizei war da, oder?«
    Zwar waren sie nicht gerade leise gewesen, aber wie hatte er das mitbekommen? Die Wohnung lag am Ende des Flurs, einen Stock unter meiner. Und es war mitten in der Nacht gewesen. Eine Zeit, zu der kleine Jungen längst schlafen sollten.
    »Ja.«
    »Sagst du mir warum? Irgendwann? Ich verspreche, ich sage auch nichts.«
    »Klar. Wenn es vorbei ist.«
    »Der Mann, der manchmal bei dir vor der Tür sitzt, ist das dein Freund?«
    »Äh, nein.« Verdammt, der Junge sah und hörte zu viel. »Jetzt kümmern wir uns aber erst einmal um dich, okay?«
    »Darf ich?«, fragte er und deutete auf die Schaumküsse.
    »Sicher, greif zu.«
    Ich wartete, bis er den süßen Papp gegessen hatte.
    »Erzählst du mir jetzt, was los ist?«, fragte ich.
    Er nickte und schluckte hinunter.
    »Also, es ist so. Ich bin da in der neuen Schule. Und da gibt es in meiner Klasse eine Clique. Das sind richtig fiese Typen. Und die sind alle größer als ich.«
    »In der wievielten Klasse bist du denn?«
    »In der vierten.«
    »Vierte? Wie alt bist du?«
    Er sah wieder auf den Tisch.
    »Ich weiß, was du denkst. Ich habe eine übersprungen.«
    Oh, okay, ich hatte es also mit einem kleinen Intelligenzbolzen zu tun. In Ordnung. Das erklärte einiges.
    Ich nickte.
    »Auf jeden Fall haben die mich gleich in der ersten Woche bedroht. Ich sollte ihnen mein Pausenbrot geben. Zuerst habe ich das getan, dann wollte ich nicht mehr und habe einfach keines mehr mitgebracht. Dann haben sie mich auf dem Heimweg abgepasst und mir ordentlich eines mitgegeben. Sie haben mir in den Magen geschlagen und mich getreten. Es hat ganz schön wehgetan.«
    Am liebsten hätte ich gleich wieder angefangen zu heulen. Aus Mitleid mit dem armen Kerl. In welcher Welt lebten wir eigentlich?
    »Und dann haben sie gesagt, dass ich ihnen Geld mitbringen muss. Sonst stecken sie mich in einen Sack und verprügeln mich und schmeißen mich anschließend in die Donau.«
    Bitte?
    »Deswegen habe ich nämlich auch nicht mehr viel Taschengeld. Und ich hoffe, dass das hier drin ausreicht, um dich zu bezahlen.« Er deutete auf die Tüte. Dann faltete er die Hände und sah mich erwartungsvoll an.
    Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich war schlicht sprachlos. Was um Himmels willen war nur los in dieser Welt? Es hatte schon immer Mord und Totschlag gegeben. Aber ein achtjähriger Junge?
    Ich lehnte mich zurück. Darüber musste ich erst einmal nachdenken.
    »Hilfst du mir trotzdem?«
    »Klar helfe ich dir. Denen werden wir das Handwerk schon legen! Das geht ja gar nicht.«
    Er schien unendlich erleichtert und griff nach einem weiteren Schaumkuss.
    »Du bist schon ganz schön cool«, sagte er. »Obwohl du geheult hast.«
    Was sollte ich jetzt dazu sagen? Ich räusperte mich.
    »Weißt du, manchmal darf man weinen. Es ist ein Zeichen von Stärke. Und lass dir von niemandem etwas anderes erzählen, okay?«
    Er sah mich zweifelnd an, dann nickte er.
    »Du erzählst es trotzdem niemandem, oder?«
    Er grinste. »Ne, schon klar!«
    »Gut, und jetzt erzähl mir mal, wo du herkommst und was du so machst. Dann erzähle ich dir auch ein

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