Mein wirst du sein
nicht, wie schwer seine Verletzung war und wie lang er bewusstlos sein würde. Es galt, keine Zeit zu verlieren.
Ich hetzte zurück in die Küche. Licht flammte auf, als ich den Schalter betätigte. Die Schublade, aus der ich die Taschenlampe genommen hatte, stand noch immer offen. Zwischen Schraubenziehern, Reißnägeln und sonstigem Werkzeug wühlte ich mit zitternden Händen herum und fand schließlich, was ich suchte.
Mit drei langen Kabelbindern rannte ich zurück ins Schlafzimmer. Rafael Winter lag noch immer unbeweglich am Boden. Sein Brustkorb hob und senkte sich regelmäßig. Auf dem Laminat unter seinem Kopf hatte sich eine kleine Blutlache gebildet.
Ich überwand meinen Ekel und rollte ihn auf den Bauch. Dann legte ich an jeder Hand einen Kabelbinder an und zog ihn fest. Die beiden entstandenen Armreifen verband ich mit dem dritten Plastikband. Überflüssig, das wusste ich. Einer wäre ausreichend gewesen, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen.
Dann setzte ich mich, an den Kleiderschrank gelehnt, auf den Boden, holte das Handy aus der Hosentasche und wählte den Notruf.
Kraftlos glitt mir das Telefon aus der Hand, als der Beamte sagte, dass sofort eine Streife geschickt würde. Ich ließ den Kopf auf die angewinkelten Knie sinken und begann hemmungslos zu schluchzen.
So trafen mich wenig später zwei Uniformierte an, die mit gezogenen Waffen in meine Wohnung gestürmt waren und in der Schlafzimmertür verharrten, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Während sich der eine Beamte zu mir hinunter beugte, kümmerte sich der andere um Winter. Dann forderten sie Verstärkung und einen Rettungswagen an.
In kürzester Zeit wimmelte es in meiner Wohnung von Polizisten und Sanitätern, doch mir war es egal. Ich hatte die Hand des besorgten Beamten abgeschüttelt, war ins Klo gerannt und hatte mich würgend übergeben, bis nur noch Galle gekommen war.
Zitternd und mit tränennassem Gesicht saß ich dort am Boden und versuchte, alles Geschehene auszublenden. Die letzten Tage waren einfach zu viel für mich gewesen.
Ein Notarzt betrat den engen Raum und kniete sich neben mich auf den Boden.
»Sie haben einen Schock«, sagte er und wollte meinen Blutdruck messen. Doch ich entzog ihm meinen Arm, wollte einfach nur meine Ruhe haben. Sollten alle verschwinden und mich schlafen lassen. Einen Mörder überwältigte man nicht alle Tage, da durfte ich auf ein bisschen Verständnis hoffen und hysterisch sein.
Dann erschien Mark in der Tür, was mich kurzfristig aufstöhnen ließ. Ich hatte keine Kraft und keine Nerven mehr, mir weitere Vorwürfe anzuhören. Konnte er nicht hingehen, wo der Pfeffer wuchs? Ich überlegte, wo genau das war und kicherte albern, verwarf den Gedanken aber gleich, weil ich merkte, wie unsinnig er in dieser Situation war.
Marks bleiches Gesicht und die dunklen Augen ließen ihn geisterhaft aussehen. Er drängte den Notarzt zur Seite und beugte sich zu mir hinunter. Als wäre es nichts, hob er mich wortlos vom Boden hoch, und ich ließ es geschehen.
Mir war alles egal. Vorsichtig trug er mich ins Wohnzimmer und legte mich sanft auf das Sofa.
»Alles okay«, flüsterte er und strich mir zärtlich über den Kopf. »Wir haben ihn. Hast du prima gemacht, Mädchen.«
Ich begann erneut zu schluchzen und barg den Kopf an seiner Schulter. Nur langsam beruhigte ich mich.
Der Notarzt erschien wieder, und diesmal ließ ich es zu, dass er meinen Blutdruck maß. Die Beruhigungsspritze verweigerte ich jedoch. Entschlossen setzte ich mich auf, wischte die Tränen aus dem Gesicht und putzte mir die Nase.
»Bitte, tut mir einen Gefallen, ja? Lasst mich einfach in Ruhe. Packt euren Krempel und verschwindet. Und zwar alle!«
Ich sah Mark fest in die Augen.
»Sie sollten ins Krankenhaus mitkommen«, wandte der Notarzt ein.
»Fällt aus.«
Der Mann sah mich noch einmal kurz an, zuckte mit den Schultern und verließ den Raum.
»Wir sind sowieso gleich fertig hier«, sagte Mark. »Dir ist aber schon klar, dass wir eine Aussage von dir brauchen.«
»Die kannst du gern haben, wenn es nicht mehr heute sein muss.«
Ich schwang die Beine vom Sofa und stand trotzig auf. Ein Beamter nach dem anderen verließ meine Wohnung, und kurz darauf waren nur noch Mark und ich zurückgeblieben.
»Mark, bitte, das gilt auch für dich.«
Ich wollte niemanden mehr sehen und einfach meine Ruhe haben. So schön es noch kurz zuvor gewesen war, mich an ihn anzulehnen.
Mark sah mich einen Moment regungslos an, und
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