Mein wirst du sein
immer noch selbst aufkommen. Außerdem hatte ich ungern Schulden. Das führte am Ende zu Verpflichtungen, denen man sich nur schwer wieder entziehen konnte.
»Wie du meinst. Dann können wir uns ja auch setzen und einen Eisbecher essen.«
Ich zog eine Augenbraue hoch, und er grinste. Wir nahmen Platz und blätterten in der Karte, um schließlich beim vorbeieilenden Kellner zwei große Eisbecher zu bestellen. Der Mann lief geschäftig hin und her und hatte alle Hände voll zu tun. Eine Menge Gäste, Berufstätige, die Feierabend hatten, aber auch frühe Nachtschwärmer nutzten das warme Wetter, um ein Eis zu genießen. Der Rathausplatz summte geschäftig, und kleine Kinder spielten lärmend am Brunnen.
»Was gibt es denn so Wichtiges?«
»Pass auf, ich habe ein bisschen recherchiert. Ich habe da als Journalist vielleicht ein paar mehr Möglichkeiten als der Allgemeinsterbliche. Außerdem hatte ich ein schlechtes Gewissen. Also habe ich heute ein wenig in der Vergangenheit gewühlt und etwas herausgefunden.«
Ich war gespannt.
»1998 ist schon einmal eine Frau erwürgt worden, die diese seltsame Kette mit der Rose um den Hals getragen hat. Sie war Schülerin im Internat Salem. Das Komische an der Sache ist jedoch, dass ihr die Kette gehört hat.«
Ein Schauer überlief mich. Hatte die Mordserie dort ihren Anfang genommen? Wenn der Frau die Kette gehört hatte und allen anderen Mordopfern der Schmuck nachträglich um den Hals gelegt worden war, konnte das nur bedeuten, dass sie das erste Opfer des Mörders gewesen war.
War das ein entscheidender Durchbruch? Fast hatte es den Anschein. Ich war Feuer und Flamme und wäre am liebsten sofort nach Salem gefahren, um mit den Lehrern dort zu sprechen. Nur mein gesunder Menschenverstand hielt mich davon ab, mich ins Auto zu setzen.
»Das ist ja ein Ding!«
»Sage ich doch.«
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Ich habe ein bisschen in den Archiven geblättert. War nicht ganz einfach und hat auch einige Zeit in Anspruch genommen, aber schließlich war ich dir etwas schuldig.«
Er war stolz auf sich, keine Frage.
»Am besten, ich fahre gleich morgen hin.«
Jens hatte einige kopierte Zeitungsberichte aus den Archiven mitgebracht, die ich aufmerksam studierte. Leider war ihnen nicht viel zu entnehmen.
Die 17-jährige Schülerin Heike M. war am Morgen des 7. Juli 1998 tot auf dem Schulgelände in einem Gebüsch entdeckt worden. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört, man wusste nur, dass sie am Vorabend eine Verabredung gehabt hatte. Leider wusste niemand, mit wem und wo. Gegen 23 Uhr musste der Mörder sie erwürgt und im Gebüsch zurückgelassen haben. Unter ihren persönlichen Gegenständen war auch jene Kette gewesen, die sie um den Hals getragen hatte. Zunächst hatte die Polizei vermutet, dass der Mörder sie ihr umgelegt haben könnte, weil niemand die Kette kannte. Dann stellte sich jedoch heraus, dass Heike M. sich die Kette selbst auf dem Volksfest einige Tage zuvor gekauft hatte.
Ich wollte nach Hause, ich musste in Ruhe ein bisschen nachdenken. Jens bestand wieder darauf, mich nach Hause zu bringen, und es war mir nicht unrecht. Ohnehin war es längst dunkel geworden. Am liebsten hätte ich ihn gebeten, mit nach oben zu kommen und unter meinem Bett nach einem Mörder zu sehen, aber das erschien mir dann doch ein bisschen albern. Also verabschiedeten wir uns, und ich ging allein ins Haus.
Als ich vor meiner Tür stand, hatte ich plötzlich ein eigenartiges Gefühl. Wurde ich langsam hysterisch? Etwas stimmte nicht, das spürte ich deutlich.
Sollte ich die Polizei rufen? Und mich gleichzeitig zum Affen machen, wenn nichts los war?
Ich überlegte. Dann hörte ich drinnen das Telefon läuten und schalt mich eine dumme Gans. Vielleicht war Jens noch etwas eingefallen?
Hastig holte ich den Schlüssel aus der Umhängetasche und schloss auf. Als ich die Wohnung betrat, wusste ich, dass mein Gefühl mich nicht getrogen hatte. Jemand war hier. Unter der Tür des Schlafzimmers schimmerte ein Lichtschein hindurch, und ich konnte gedämpfte Geräusche hören.
Das Adrenalin schoss mir durch den Körper, jagte meinen Puls in die Höhe und beschleunigte die Atmung.
Das Telefon hörte auf zu klingeln.
Was sollte ich tun? Abhauen und die Polizei rufen? Und damit riskieren, dass er verschwand, weil ich ihn vielleicht aufschreckte? Oder das Überraschungsmoment nutzen und das Schwein zur Strecke bringen? Den Verbrecher, der nicht nur gemordet hatte, sondern mir
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