Meine Freundin, der Guru und ich
war.
Kurz nachdem wir aufgebrochen waren, sah ich, wie Liz (die zusammen mit Jeremy an der Spitze der Gruppe lief) einen Bettler umarmte. Der Bettler sah entsprechend angewidert drein, so daß ich versuchte, ihn mit ein paar Rupien zu entschädigen. Obwohl ich Liz' Gesichtsausdruck nicht sehen konnte, hatte ich den Eindruck, daß sie nach der Umarmung einen ganz anderen Gang angenommen hatte. Ihre Körpersprache schien nun sagen zu wollen: »Schaut mich an – ich bin so wahnsinnig gelassen, daß es schon weh tut.«
Als wir ungefähr eine Meile gewandert waren, stellte sich heraus, daß Jonah eine Abkürzung kannte. Das nahm Jeremy völlig den Wind aus den Segeln, was mich in eine exzellente Laune versetzte – Liz hingegen an das Ende der Gruppe, wo sie sich seiner Tröstung annahm. Es lief darauf hinaus, daß ich die meiste Zeit über mit Ranj redete.
Ranj kam, wie sich herausstellte, aus Putney. Statt des üblichen Outfits für Reisende (das mittlerweile sogar ich mir zugelegt hatte) trug er Levi's und ein enganliegendes, frisch gewaschenes T-Shirt, das seine Muskeln gut zur Geltung kommen ließ. Zudem hatte er außerdem die erste korrekte Frisur, die ich seit meiner Ankunft in Manali gesehen hatte.
Er erzählte mir, daß er von seinen Eltern nach Indien verschleppt worden sei, um seine Familie kennenzulernen, ihm das alles aber nach kurzer Zeit zuviel geworden sei und er sich deshalb in die Berge geflüchtet habe. Er sagte, daß seine Familie ziemlich reich sei und überall ihre Leute habe, die nach ihm Ausschau halten würden. Deshalb solle ich niemand erzählen, daß ich ihn gesehen hätte.
»Geht in Ordnung«, sagte ich.
»Ich schwör's dir, sie werden mich finden. Wo immer ich bin, sie werden mich finden und mich zurückschleifen.«
»Bist du sicher, daß du nicht ein bißchen unter Verfolgungswahn leidest? Ich meine, das ist ein ziemlich großes Land.«
»Du hast keine Ahnung, wie das hier läuft. Meine Familie hat ihre Finger überall drin. Ich brauche nur meinen Namen zu nennen, und selbst ein völlig Fremder würde wissen, aus welcher Familie ich komme. Und dann würden sie erfahren, wo ich bin. Ich schwör's bei Gott. Und wenn sie mich finden, stecke ich ganz schön tief in der Scheiße.«
»Wieso das?«
»Weil ich weggelaufen bin, verfickt noch mal!«
»Aber könntest du ihnen nicht einfach erzählen, daß du nur mal ein bißchen als Rucksacktourist unterwegs warst?«
»Als Rucksacktourist? Glaubst du, die würden das zulassen? Herumzureisen wie so ein heruntergekommener Stromer und zusammen mit stinkenden Hippies in irgendwelchen verwanzten Hotels zu schlafen? Niemals würden die mich so losziehen lassen, in einer Million Jahren nicht! Und dann noch allein! Meine Güte! Die würden denken, ich spinne.«
»Aber das machen doch alle, dachte ich.«
»Ja klar, ich meine, viele von meinen Kumpels zu Hause haben das gemacht. Aber ich nicht. Ich darf das nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil ich Inder bin. Und das ist für einen anständigen Inder keine Art, sich zu benehmen.«
»Aber Reisen ist doch was Anständiges.«
»Pah! Reisende sind doch das allerletzte.«
»Aber wir sind doch reich! Wir sind aus dem Westen.«
»Na und?«
»Wir können uns teure Sachen leisten.«
»Und …?«
»Also verhalten sich die Leute so, als ob sie uns respektieren.«
»Ganz genau. Sie verhalten sich so. Aber sie tun's nicht. Sie denken, daß ihr schmutzig und knauserig seid, aber sie schleimen euch voll, weil sie euer Geld wollen. Merk dir das. Kein Inder in diesem Land wird jemals dein Freund werden. Was immer sie dir auch sagen, es ist eine Lüge – sie wollen nur dein Geld.«
»Das kannst du doch nicht sagen. Das ist ja rassistisch.«
»Natürlich ist es rassistisch. Alter, ich hasse Inder. Das sind Scheiß-Barbaren. Alles, was die interessiert, ist Geld, Geld und noch mal Geld. Seit ich hier bin, bin ich jeden Tag von ungefähr zehntausend Cousins in Beschlag genommen worden, und alles, worüber sie sprechen wollen, sind Stereoanlagen, Autos, Whisky und Grundstückspreise. Alter, das hat mich völlig wahnsinnig gemacht. Deshalb mußte ich raus. Mich interessiert der ganze Scheiß nicht. Mich interessiert das verfickte Geschäft von meinem Vater nicht die Bohne, und es ist mir scheißegal, ob seine bekackten Klamotten zehn Sekunden, nachdem sie das Lager verlassen haben, auseinanderfallen. Für mich ist das alles eine einzige große materialistische Kacke.«
»Ich dachte immer, Indien sei so
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