Meine letzte Stunde
durch mein Leben – hin und zurück
Viele gute Geschichten beginnen mit einer großen Enttäuschung. Nachdem ich als 17-jähriger Schüler alle Auswahlverfahren für ein Auslandsjahr in den USA als AFS-Austauschschüler überstanden hatte, erhielt ich drei Wochen vor meiner geplanten Abreise die Nachricht, dass man leider keine Familie für mich gefunden hätte. Ich fiel aus den Wolken meiner pubertären Träume von „den Amis Fußball beibringen“, „tollen College Girls“ und „der Sonne Kaliforniens“. In meiner Verzweiflung ging ich in eine Buchhandlung, um mich abzulenken, und stieß auf ein Buch mit dem verheißungsvollen Titel „Alles ist erreichbar“. Das war genau das, was ich wollte. „Ob Erfolg im privaten oder beruflichen Bereich – alles was man dazu braucht, sind Papier, Bleistift und ein bisschen Ehrlichkeit sich selbst gegenüber“, versprach der Klappentext. Die erste Aufgabe bestand darin, zehn Ziele zu formulieren. Deren Erreichung konnte im Augenblick noch so unrealistisch sein, wichtig war, dass sie einen mit Leidenschaft erfüllten. Nun, ich hatte keinen Mangel an unrealistischen Zielen und stürzte mich leidenschaftlich in diese Aufgabe.
Um eine lange Geschichte ganz kurz zu machen: Seit meinem 17. Lebensjahr praktiziere ich diese Übung. Ich kann also auf über 30 Jahre erfüllte und zerstörte Hoffnungen zurückblicken, nachlesen, wie bestimmte Sehnsüchte mein ganzes Leben durchzogen und andere sich plötzlich in Luft aufgelöst haben, als hätte ich sie nicht gehabt. Diese Dokumentation meines Lebens in karierten A-4-Schulheften erleichtert mir jetzt die Aufgabe: Was waren die entscheidenden Punkte in meinem Leben und gibt es einen roten Faden, der sie verbindet?
Nachdem ich mich einmal auf diese Abenteuerreise „in einer Stunde durch 30 Jahre meines Lebens“ eingelassen habe, beginne ich in meiner Fantasie mit den Ergebnissen zu spielen. Was würde der heute 49-jährige Andreas Salcher dem damals 17-Jährigen an weisen Ratschlägen für sein Leben geben? Doch ich erkenne schnell, dass der damals 17-jährige Teenager sich seine Träume nicht durch kluge Ratschläge eines fast 50-Jährigen hätte nehmen lassen. Wild und maßlos wollte ich damals meine eigenen Erfahrungen machen. Und für einen 17-Jährigen ist ein fast 50-Jähriger außerdem knapp vor der Vergreisung. Erschreckt von der Uneinsichtigkeit des 17-Jährigen, kehre ich also in die Gegenwart zurück und versuche heute den roten Faden, der die wichtigsten Punkte meiner vergangenen 30 Jahre verbindet, als Richtschnur für meine nächsten 30 Jahre zu verwenden. Und siehe da, das funktioniert deutlich besser. Zwar spüre ich durchaus Widerstand gegen die eine oder andere Erkenntnis, aber nicht weil ich an deren Richtigkeit zweifle, sondern weil sie ein bisschen schmerzt. Die Wahrheit tut oft weh.
Was kann der heute 49-Jährige für die nächsten 30 Jahre lernen:
1. Freue Dich jeden Tag an dem, was Du hast, statt daran zu leiden, was dir fehlt. Freue Dich über das, was Du tun darfst: Sei ungeheuer dankbar dafür, dass so viele Menschen Deine Bücher lesen, davon hast Du 30 Jahre lang geträumt. Nutze Deine Unabhängigkeit als Single und leide nicht daran, dass Du im Augenblick keine Beziehung hast. Vergiss nicht Deine Gesundheit, sie ist absolut nichts Selbstverständliches. Zu oft schon hast Du in Deinem unmittelbaren Freundeskreis erleben müssen, dass es fast keinen fundamentaleren Eingriff in unser Leben gibt, als wenn plötzlich unsere Gesundheit angegriffen wird.
2. Denke nicht nur an Dich, sondern auch an andere. Wie viele Menschen hast Du schon enttäuscht, nur weil Du sie überhaupt nicht wahrgenommen hast? Und jetzt wird es ganz peinlich: Wie oft hast Du schon jemandem beim Umzug geholfen, auf ein Kind aufgepasst oder einen Kranken gepflegt? Jetzt ist keine Büßerkutte gefragt oder die langwierige Suche nach dem schlechten Gewissen. Einfach etwas tun: Du hast so wunderbare Freunde, tue mehr für sie und genieße die Zeit mit ihnen. Spüre die Verantwortung, die Du für die Talente der Kinder in diesem Land hast, beantworte jeden Anruf einer verzweifelten Mutter, auch wenn es gerade Sonntag ist. Es ist ein riesiges Geschenk, dass so viele Menschen Hoffnung in Dich setzen. Und bilde Dir ja nicht zu viel darauf ein, sonst bekommst Du eine vom Leben übergezogen.
3. Überlege Dir nicht nur, auf welchen Gebieten Du erfolgreich sein willst, sondern vor allem, womit. Was hilft es den Menschen
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