Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
Vom Netzwerk:
Fahne knüpft, könnt ihr sie gleich wieder mitnehmen.«
    Rosenhauer bekam die Rente der Akademie trotzdem. Und kein Wort mehr ward verloren über Flaggen aus Küchenfenstern. Offenbar war man zu intelligent, um noch einmal nachzubohren. Widerstand im Satzbau – so etwas ging auch im Unrechtsstaat, und Rosenhauer setzte damit in der Farbe, die er so meisterhaft zu verwenden wusste, im allerbesten Grau, einen weiteren Tupfer in die Landschaft.

Mein ganz persönlicher Stadtführer
    »Noch enne Flud, und mir sinn saniert«, sagte neulich ein Dresdner, und Recht hat er. In jeder Niederlage steckt auch ein Fünkchen Hoffnung, es möge doch alles nicht so schlimm werden.
    Wenn Dresden in den Fluten versunken wär’, wie hätten wir denn dann 2006 unser 800-jähriges Stadtjubiläum feiern soll’n? Wie bitte, Meißen ist 1000 Jahre? Na ja, aber die waren ja och eher da. Also bitte, mir lassen uns nicht unterkriegen.
    Wir Dresdner sind Landeshauptstadt, Wissenschaftsstadt, Kulturstadt sowieso und natürlich: Weltkulturerbe, und zwar jeder Dresdner! Der Dresdner ist ungemein liebenswürdig, hilfsbereit, gutmütig, vor allem zu anderen . . . also nicht Einheimischen, zu Überelbschen, Ausländern und Fremden.
    Zur eigenen Sippe hört man ihn des Öfteren sagen: »Nu halt doch ma deine Gusche!« Gemeint ist hier der Mund. Ich kenne keine Stadt in Deutschland, in der die Bürger so leidenschaftlich an dieser hängen und jeden Schritt der Veränderung kommentieren. Diese tiefe Anteilnahme ist letztes Zeugnis für Nationalbewusstsein. Ja, ja, der Dresdner weiß: Heimat ist nicht globalisierbar.
    Dresdner kann übrigens jeder werden. Er muss sich ja nur anständig verhalten, die Hausordnung pünktlich gemacht haben und mindestens fünf Jahre hier leben. Dann hat er es geschafft. Behaupte ich.
    Es sind ja gerade die Zugezogenen, die – Gott sei Dank – Veränderungen bringen. Ich sage nur: Italienisches Dörfchen. Auf dem Theaterplatz – richtig! Wobei wir schon im Herzen der schönsten Metropole Deutschlands sind. Das ganze Areal mit Semperoper, Hofkirche, Schloss, dem wunderschönen
Taschenbergpalais und dem Zwinger, dem Schauspielhaus selbstverständlich – das alles ham Se in 15 Minuten »abgelatscht«, wie wir sagen. Aber was sind das für 15 Minuten! Wenn Sie sich äh bissel Mühe geben, können das die schönsten Ihres Lebens werden. Und wenn es noch schöner werden soll, ja, dann bequemen Sie sich doch bitte zur Brühlschen Terrasse, wo Ihnen Bayern, Russen, Sorben und manchmal auch ein Dresdner »unsere« Stadt erklären. Auf der Brühlschen guggen Se entweder links off die größte Raddampferflotte der Welt, denn wunderschöne, original erhaltene Schaufelraddampfer warten, von Ihnen bestiegen zu werden, oder aber, Sie schwenken Ihr Haupt auf den »Balkon Europas«, so nämlich heißt die Brühlsche Terrasse, nach rechts und sehen die – Frauenkirche, und die ist jetzt fertsch. Die Kirche nattirlich.
    Bei einer Stadtführung fragte neulich eine Engländerin besorgt den Führer, also den Stadtführer, ob die Dresdner denn immer noch böse seien, weil England sie bombardierte? . . . Ohne Worte … ! Das alles ist Wirklichkeit – man muss nur lauschen können. Oder wie der Dresdner sagen würde: »Die wärn sich schon was dabei gedacht ham . . .’o. Die wärn sich och was dabei gedacht ham, die neu gewonnene Freiheit um die Kirche herum wieder so zuzupflastern. Tiefgaragen, Hotels, Luxusläden, all das brauchen wir im Osten ja dringendst. So gibt es eben ein Dresden für die Touristen und eins für uns, die wir auch hier leben – dürfen … noch! … Und weil der Osten gerade angesprochen wurde: Wissen Sie, wann die Wiedervereinigung Deutschlands vollendet ist? Wenn der letzte Ostdeutsche aus dem Grundbuch gelöscht ist!
    Leipzig ist zwar Heldenstadt geworden durch die Wende, aber in Dresden ging es mindestens genauso dramatisch zu, allein schon deshalb, weil der Hauptbahnhof kochte und brannte. Honecker hatte sich einfallen lassen, die Züge mit den Botschaftsbesetzern von Prag über Dresden umzuleiten,
auf dass sie noch einmal ihre Heimat sehen mussten. Zynismus kennt eben keine Grenzen.
    Wir heidnischen Dresdner entgingen einem Blutbad, weil die Kirche in dieser Wendezeit eine wirklich aufklärende Rolle spielte. Unvergessen Pfarrer Ziemer. Sie fragen, was das in einem Stadtbummel zu suchen hat? Nun, ich glaube, ohne Vergangenheit gibt es keine Zukunft, und bevor die Geschichte wieder auf den neusten

Weitere Kostenlose Bücher