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Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition)

Titel: Meine Oma, Marx und Jesus Christus: Aus dem Leben eines Ostalgikers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Steimle
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Stand der Lüge gebracht wird, schreibe ich als »Überlebender der Wende« von der wirklichen Wahrheit. Alles verstanden? Gut!
    Also, wenn Sie Fragen haben, suchen Sie das Gespräch mit Einheimischen. Man erkennt sie an Ihrer Spraaache. Und woran erkennt man eine richtige Semmel? Genau, am Hefeteig! Und wo gibt es noch richtige Semmeln? Zum Beispiel am Nürnberger Ei – Bäckerei Uhlig. Oder am Rande von Dresden  – Bäckerei Schmidt in Gittersee. So eene echte Dresdner Semmel, frisch aus’m Ofen und dann mit guter Butter droff, neingedidscht in en Dopp Kakao. Das is eh Gedicht – Kultur auf der Zunge. Esskultur!
    Früher, also noch vor der Kehre und unter den Kommunisten, mussten wir noch richtige Semmeln essen. Es gab keine Fertigbackmischungen. Wir hatten Zeit und Geschmack. Nach 1989 verschwanden Stück für Stück richtige Bäcker. Wir bekamen Westsemmeln mit Stabilisatoren und ohne Hefeteig. Eigentlich hätten wir Dresdner schon damals hellwach sein müssen. Denn man hätte leicht von der Semmel auf das ganze System schließen können: Unglaublich viel Luft.
    Aber ansonsten geht es gut. Wir sind nicht nachtragend, aber wir vergessen eben auch nichts. Kein Dresdner kann seinen König je vergessen. Egal, ob August den Starken oder König Johann, der Dante aus dem Italienischen übersetzte oder den allerletzten König, der 1932 viel zu jung von uns ging. Mir häng’ am Schloss, und in jeder Familie gibt es mindestens
einen, der königlich-sächsischer Hoflieferant war oder ist. Wir dienen gern dem Herrn. Und wenn morgen mal wieder freie Wahlen sind und die Monarchie stünde zur Debatte ... Ich wüsste, was meine Dresdner wählen. Mein Großvater war 1. Kammerdiener im Schloss Übigau . . . Ich sag’s nur mal. Er starb 1968 und liegt auf dem Markusfriedhof, gleich an der Pumpe rechts, das dritte Grab – Schneeweiss ist sein Name. Ich erwähne das nur deshalb, weil auch die Friedhöfe in Dresden außerordentlich schön sind. Ein wunderschöner Friedhof befindet sich gleich gegenüber dem Friedrichstädter Krankenhaus. Oder aber in Wachwitz, wo die Kirche Maria am Wasser weilt. Ein Traum!
    Wie wir mit unseren Toten umgehen, gibt das nicht auch Auskunft über uns Lebende?
    Dresden war bis 1945 die reichste Stadt Deutschlands. Gemessen am Pro-Kopf-Einkommen. Sonst natürlich auch! Die Werbeindustrie war hier zuhause, und es gab Firmen mit so exotischen Namen wie »La Ferme«, »Ulema«, »Chlorodont« und »Rüger Hansi«, von denen aber nur noch Emailleschilder künden. Heiß begehrt, sündhaft teuer, einmalig! Früher hingen diese Plakate ja vor jedem Laden und waren als Werbeträger Gebrauchsgegenstände, und heute sind sie Kulturgut, und für mich sind sie Kunst. Im Stadtmuseum hängen einige wenige – unbedingt ansehen – gleich auf der Wilsdruffer Straße, Nähe Pirnaischer Platz.
    Wir Dresdner sind unsicher, zweifelnd und zögerlich, überaus herzlich, eben genauso wie man sich einen Weltbürger wünscht. München war gestern. Dresden ist heute. Bitte besuchen Sie uns, verehrte Gäste, auf dass Sie sehen, was wir aus all Ihrem schönen Westgeld gemacht ham. Wir ham’s uns schön gemacht. Und mit Blick auf die Zukunft will ich mit einem typischen Dresdner Spruch enden, der da heißt: »Mir wärn schon machen, dass nüschd wird.«
    Das meint ein Lachen, vor allem über uns selbst. Gerade mir in Dresden haben es uns ja so richtig schön gemacht. Doch, doch, guggen Se ma: Früher in der DDR wurde sich um die Menschen gekümmert und die Häuser verfielen …
    Gerade haben die neuen Machthaber die Pädagogische Hochschule abgetragen. Ja, ja – Im Unrechtstaat wurden Lehrer ausgebildet, dafür aber keine U-Boote für Israel »gespendet«. 94% der Führungskräfte kommen aus der BRD. Dresden ist besetzt. Was uns bleibt, ist die Erinnerung, die Fantasie. Und je mehr man dem Dresdner nimmt, umso trotziger behauptet er: »Uns geht’s gut. ’S iss doch alles noch da!«
     
    Nicht totzukriegen, der Dresdner!

Die ham äh Ding an der Birne
    In meiner Heimatstadt, in Dresden, wurden unlängst 18 Birnenbäume gefällt,
    ja, auf der Kaitzer Straße. Die Anwohner hatten sich beschwert, weil die Birnen im Sommer die Fahrbahn wiederholt vermatscht hatten. Wiederholt! Diese Birnen waren Wiederholungstäter! Die Stadt sprach die Bäume schuldig und ließ sie fällen. Mir nichts, dir nichts. Die Birnen blühten nicht mehr, dafür trieb der Irrsinn Blüten.
    Es waren dieselben Birnen, die unsere Großväter,

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