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Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen

Titel: Meine russische Schwiegermutter und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Fröhlich
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das deutsche Rechtssystem und wiederholte, was ich schon am Telefon gesagt hatte: dass nach Einreichen des Schriftsatzes Geld fällig sei.
    »Kain Prrobläm«, sagte Rostislav und lachte, »Koste, Hilfä!«
    »Bitte?«
    »Mein Vater meint, dass er gern Prozesskostenhilfe beantragen möchte.«
    »Bitte?«
    »Pro-zess-kos-ten-hil-fe«, wiederholte Artjom langsam und laut, als sei ich schwerhörig.
    »Das habe ich schon verstanden. Aber dein Vater ist Unternehmer, er hat keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe. Das ist für Menschen mit einem geringen Einkommen«, antwortete ich.
    »Kain Prrobläm«, lachte Rostislav erneut, »kain Geld!«
    »Bitte?«
    »Mein Vater meint, dass er kein Geld hat. Eigentlich ist er fast pleite. Und meine Mutter hat ja überhaupt kein Einkommen.«
    Ich starrte die drei Menschen vor mir fassungslos an. Da saßen sie, mit unschuldigen Blicken, und glitzerten mit ihrem Schmuck in der Sonne wie Weihnachtsbäume.
    Ich räusperte mich. »Nun gut, auch wenn dein Vater aktuell nicht viel verdient, er hat doch sein Vermögen.«
    »Kain Geld, kain Geld!« Rostislav war fast außer sich vor lauter Frohsinn.
    »Mein Vater meint, dass er kein Vermögen mehr hat.«
    »Aber du hast mir doch gestern erzählt, dass er in der Schweiz …«
    »Ach, Paula.« Artjom breitete mit einer großen Geste die Arme aus. »Das ist längst weg. Da war doch die Sache mit den indischen Seidenraupen …«
    Vor über einem Jahr waren die indischen Seidenraupen an der Flecksucht erkrankt. Und nicht nur die indischen, auch ihre Brüder und Schwestern aus China, Vietnam, Kambodscha und Japan infizierten sich und sponnen keine Fäden mehr. So schoss der Preis für Rohseide in schwindelerregende Höhen, und das hatte natürlich Auswirkungen auf den Stoffmarkt.
    Rostislav sah sich gezwungen, kurzfristig einen Kredit bei einem in Hamburg lebenden georgischen Spediteur aufzunehmen, dem Freund eines entfernten Bekannten. Natürlich zu horrenden Zinsen, aber so sind die Georgier, gönnen einem Russen nicht das Schwarze unterm Fingernagel. Zu allem Unglück blieb er fast noch auf einer Lkw-Ladung teurer Wollstoffe sitzen, die er erst mit großem zeitlichem Verzug und zu einem geringeren Preis als erhofft verkaufen konnte. Mit diesen Rückschlägen hatte er bis heute zu kämpfen.
    Mein Kopf dröhnte, mir war flau, aber ich blieb hartnäckig.
    »Und euer Schmuck?«, fragte ich drohend.
    »Ach, Paula, der ist doch nicht viel wert«, sagte Artjom bedauernd.
    Nicht viel wert? Auch wenn ich mich nicht mit indischen Seidenraupen oder dem italienischen Stoffhandel auskannte, ich war in den Elbvororten aufgewachsen, wo gelangweilte Luxushausfrauen ihre Preziosen im Supermarkt zur Schau stellen. Bei Gold und Edelsteinen machte mir keiner was vor.
    Hatte ich nicht vorhin einen Brillanten an Daryas Ringfinger blitzen sehen? Ich schaute zu ihr. Sie hatte mit einem abwesenden Blick die Hände unter den Tisch gesteckt, um die Hunde zu kraulen. Und Rostislavs Rolex? Er hielt die Arme verschränkt und schaute sinnierend in den Himmel.
    Artjom beugte seinen Kopf so weit zu mir, dass seine Lippen nicht unangenehm mein Ohrläppchen berührten. »Das sind Erbstücke, verstehst du? Erinnerungen an die Heimat. Es würde meinen Eltern das Herz brechen, wenn sie ihren Schmuck verkaufen müssten. Das willst du doch nicht, oder?«
    Nein, das wollte ich nicht. Ich wollte nur noch nach Hause, mir war wieder übel.
    »Okay«, sagte ich matt, »ich schicke euch die Anträge für die Prozesskostenhilfe. Aber deine Eltern müssen ihre Einkünfte belegen. Hieb- und stichfest. Sonst wird das nichts.«
    »Natürlich, Paula, das ist doch klar.«
    »Kain Prrobläm!«, freute sich Rostislav.
    Auch zum Abschied gab es Körperkontakt, langsam gewöhnte ich mich daran. Rostislav drückte, Darya tätschelte – mit einer plötzlich erstaunlich unberingten Hand.
    »Artjom gutt Mann«, raunte sie mir verschwörerisch zu. Verwirrt und verkatert ließ ich mich von ihrem Sohn zum Auto bringen, begleitet von vier Hunden, die auf einmal einen ganz manierlichen Eindruck machten.
    »Denkst du bitte noch an die Expertise vom Cello?«, fragte ich betont geschäftsmäßig.
    »Natürlich«, versicherte Artjom und steckte mir seine Visitenkarte mit Mobilnummer in die Handtasche – falls es zwischendurch etwas zu besprechen gäbe. Dann blickte er tief in meine rot geäderten Augen.
    »Das war eine wunderbare Nacht. Hoffentlich nicht die Letzte …« Er schlug meine Wagentür zu. Ich fuhr

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