Meine Schwiegermutter ist cooler als deine
bereit.
Da fällt mir ein: Angeln vom Boot aus habe ich sogar schon mal gemacht, auf einer Klassenfahrt in Kiel. Wir hatten einen Angelbegeisterten
namens André Kaspar in unserer Klasse, der uns alle zu einem Angelausflug mitnahm. Wir durften uns zu viert von der Klasse
absetzen und |76| machten einen Tagestrip mit einem Fischkutter und geliehenem Gerät, und natürlich fing ich drei, vier dicke Dorsche, während
André leer ausging, aber immerhin die Fische töten durfte, denn davor drückte ich mich wortreich. Damals war ich 16 und fühlte
mich tatsächlich wie Hemingway, doch nach mehr als doppelt so vielen Lebensjahren war aus diesem einst so aufregenden Angelausflug
eine kaum leserliche Fußnote in meinem Leben geworden.
Nun, eröffnete Paolo mir, das mit den Schwertfischen würde zunächst einmal etwas dauern – wir sollten lieber mit was Übersichtlichem
anfangen, meinte er. Ein paar Seezungen wären doch prima? Klar, dachte ich. Die schmecken ja auch sehr gut. Angeln vom Boot
aus kam nicht in Frage, viel zu aufwändig, viel zu hektisch. Wir fuhren etwas außerhalb von Grado an die Rotta Primero, eine
winzige, halb aufgegebene Fischersiedlung. Dort gibt es einen verrottenden Steg vor einem längst verlassenen Stützpunkt der
Wasserschutzpolizei, welcher offenbar von der Dorfjugend seit Jahren für Wettbewerbe im Flaschenzerdeppern benutzt wird. Sie
ahnen es: Besonders romantisch geht es da nicht zu. Erst klettert man über einen scherbenübersäten Deich, dann rutscht man
einen müllübersäten Abhang hinunter, und dann ist man auf dem Steg. Der nicht einmal aus Holz ist, sondern aus Waschbeton.
Paolo stand schon da, hatte die Angelruten ausgeworfen und sich eine Zigarre angesteckt. Paolo ist einer der wenigen Menschen,
an denen Zigarren stimmig aussehen. Bei den meisten anderen Menschen wirkt dieses Gepaffe arg aufgesetzt, doch Paolo kann
sogar die Zigarre im Mundwinkel halten, ohne albern zu wirken.
Damals, bei meinem Angelausflug in Kiel, hatte mir |77| André Kaspar die Drecksarbeit abgenommen, und inzwischen war das Angeln in meiner Vorstellung eher zu elegantem Fliegenfischen
geworden, wobei man seine überlange Rute in malerischen Landschaften mit einer eleganten Technik über das Wasser wirbelt.
Alles Lebende, Schleimige und Stinkende war in meinem Kopf irgendwie aus dem Akt des Angelns verbannt, doch Paolo holte mich
schnell in die Realität zurück, denn nachdem ich die Schnittwunden an den Beinen von den vielen Scherben, die auf dem Deich
lagen, notdürftig verpflastert hatte, zeigte er mir als Erstes seine Köder. Lebendköder. In einer kleinen Kiste tummelten
sich allerlei Kreaturen, etwa kleine, agile Würmer und große, glitschige Würmer. Die kleinen, agilen Würmer wurden zu dritt
an den Haken gebracht, die großen, glitschigen Würmer dagegen zuvor mit einem Messer zerteilt. »Es gibt doch auch künstliche
Köder«, stammelte ich. »Ja, aber die sind nicht so wirkungsvoll«, sagte Paolo und zwinkerte heftig. Klar, dass er sich ab
und zu mal die Augen reiben muss, weil er die Zigarre auch bei kleineren Bastelarbeiten, für die beide Hände benötigt werden,
partout weiterpaffen will.
Nun warfen wir die Ruten aus, und obwohl ich ihn fragte, ob er schon einmal eine Angel auf diese Art verloren habe, stellte
ich mich hier nicht ganz so dumm an; hier war sie wieder, eine gewisse Verwandtschaft zum Golf, denn auch beim Angeln kommt
es auf Griff, Geschmeidigkeit und das Halten bestimmter Körperwinkel an. Kein Wunder, dass so viele Golfer hervorragende Angler
sind. Jack Nicklaus beispielsweise ist ein ausgezeichneter Fliegenfischer.
Dann standen wir nebeneinander. Etwa zwanzig Meter vor unserem Steg hüpften tolldreist ein paar Fische aus |78| dem Wasser; wir warfen unsere Ruten dorthin, und dann verharrten wir gefühlte 17 Stunden nebeneinander. Man konnte die eigene Haut unter der Sonne knisternd verbrennen hören. Dann fing Paolo einen mittelgroßen,
grünlich schimmernden und sehr unappetitlich aussehenden Fisch. Er legte ihn in den Eimer. Nach weiteren 13 Stunden biss bei mir ein Fisch an, der exakt so groß war wie mein Lebendköder. Paolo lachte, befreite ihn behutsam und warf
ihn zurück. Immerhin hatte der Kleine sich vorher satt gegessen.
Endlich näherte sich die Sonne dem Horizont (ich hatte sie dabei still angefeuert), und wir packten zusammen. Kein Tag für
Heldengeschichten. Ich sah mich schon nach Hause kommen und
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