Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
völlig legitim wäre. Zumal es genau das wäre, was du machen würdest, wenn du’s könntest). Du wärst enttäuscht von ihm, klar. Du würdest (auch wenn’s dich natürlich nichts angeht) denken: ›Oh Mann, Saviano, geht’s noch?‹
Als der – nennen’s wir mal Schock – als also dieser Schock durch das plötzliche Auftauchen von Alessandra Persiano überwunden war, fächelte ich mir Luft zu und blieb in der Erwartung, dass sie mich gleich bemerken würde, mitten auf der Allee stehen.
Falsch erwartet: Sie bemerkte mich nicht.
Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich wirklich nicht sonderlich gut aussehe?
›Das tust du wirklich nicht‹, bestätigte mir mein Schutzengel (den ich wohlgemerkt nicht angeheuert habe) überflüssigerweise.
›Hast du verdammt nochmal nichts Besseres zu tun?‹, antwortete ich ihm.
Ich begann mit einer Hand zu winken wie die Figuren, die an der Autobahn durch mechanisches Heben und Senken ihres Arms die Umleitungen anzeigen.
Endlich lokalisierte mich die Frau, von der ich nicht sicher war, ob ich sie noch meine nennen durfte. Und was soll ich sagen? Ihre Miene bei meinem Anblick hätte ohne Übertreibung auch zu meiner Beerdigung gepasst.
›Bin ich denn schon ein Zombie?‹, fragte ich mich, als ich auf sie zuging (mit einer ganz ähnlichen Ergebenheit übrigens wie damals als Schüler, wenn ich unvorbereitet an die Tafel gehen musste).
›Jetzt hab dich nicht so‹, sagte das zu meinem Schutz abgestellte Engel-Aas. ›Das dicke Ende kommt erst noch.‹
›Aha, danke, du bist wirklich ein Engel‹, erwiderte ich süffisant.
Auf dem alles in allem kurzen Stück Weg von mir bis zu Alessandra Persiano bin ich nochmal die Liste der Formulierungen für den Laufpass durchgegangen, die sie in einer Situation wie dieser hätte wählen können:
Bitte mach es mir nicht noch schwerer;
Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe: besser, wir reden an einem neutralen Ort miteinander – zu Hause hätte ich die Strapaze nicht überstanden;
Ich will dich als Mensch nicht verlieren;
Die Schlüssel liegen auf dem Schränkchen. Bitte ruf mich nicht an. Ich melde mich bei dir;
Ich muss erst mal begreifen, was ich fühle, und das gelingt mir nicht, wenn ich nicht auf Abstand zu dir gehe;
Sollen wir uns vielleicht in eine Bar setzen?
Als ich dann vor ihr stand, bereit, mich auf der Stelle erschießen zu lassen – und als ich dann sah, wie sich ihre Miene unverhofft aufhellte und sie lächelte, war ich emotional dermaßen überrumpelt, dass mir war, als würde ich in der Nähe ein Glöckchen läuten hören. Wie in den alten Zeichentrickfilmen, wenn zwei sich ineinander verlieben.
»Du hast eine SMS gekriegt«, sagte sie.
»Hä?«, sagte ich (vollkommen neben der Kappe).
»Eine SMS «, wiederholte sie; aber da ich sie immer noch anglotzte, als hörte ich dieses Wort zum ersten Mal, fing sie an, mit dem rechten Zeigefinger in Richtung meiner Jacketttasche in die Luft zu pochen. »Du – hast – gerade – eine – SMS – gekriegt.«
Das also war das Glöckchen, das ich gehört hatte.
»Ach so«, sagte ich, kehrte in die dreidimensionale Welt zurück und zog das Telefon heraus. (Als ob mich diese blöde SMS in dem Moment auch nur die Bohne interessiert hätte.)
Ich erkannte die Nummer des Absenders. In Sekundenfrist brach mir der kalte Schweiß aus – weil ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie ich mich aus der Affäre ziehen sollte.
»Vielleicht war ich das, ich hab nämlich gerade versucht, dich anzurufen«, sagte Alessandra Persiano und half mir unbewusst aus der Klemme.
Fast gerührt schloss ich die Augen, weil ich zugeben musste, dass das Aas von meinem Schutzengel sich endlich daran erinnert hatte, für mich zu arbeiten.
»Ah, ja? Und hast du keine Verbindung gekriegt?«, antwortete ich mit etwas lauterer Stimme, als würde mich das Funkloch an dieser Stelle der Stadt ganz besonders interessieren (ist euch schon mal aufgefallen, dass man ganz besonders viel Interesse für die unbedeutendsten Nebensächlichkeiten zeigt, wenn man kalt erwischt wird?), und gleichzeitig ließ ich mir die SMS anzeigen, wobei ich so tat, als würde ich verifizieren, ob es die Benachrichtigung über den entgangenen Anruf von Alessandra Persiano war (ich weiß, ich hätte die Lektüre auf einen passenderen Moment verschieben können, aber ein vermeintlicher kleiner Kontrollblick an Ort und Stelle war bestimmt unauffälliger, dachte ich).
Und da stand es:
Aber weshalb sagt ihr alle, ›Ich ruf dich
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