Meine Seele gehoert dir - Angelfire ; Bd. 1
Er verzog das Gesicht und stieß einen leisen Fluch aus. Ein taubes Gefühl überkam mich, als ich das Ausmaß seiner Verletzungen sah. In seiner Brust befand sich ein faustgroßes Loch. Übelkeit wallte in mir auf, und ich zwang mich wegzuschauen. Er schnappte würgend nach Luft.
»Meine Lunge …«, keuchte er.
Ich sah ihn verzweifelt an und berührte sein Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie kann ich dir nur helfen?«
Er packte meine Hand und klammerte sich daran fest. »Krieg keine Luft … warte …«
Das Leuchten in seinen Augen wurde schwächer, und meine schlimmste Sorge schnürte mir die Kehle zu. War die Wunde zu groß, um heilen zu können? »Du darfst nicht sterben«, sagte ich. »Ich schaff das hier nicht ohne dich.«
»Warte …«, wiederholte er und verzog das Gesicht.
Das Loch in seiner Brust begann sich zu füllen, und seine Haut zog sich darüber zusammen. Sein Atem ging gleichmäßiger, und sein Griff lockerte sich. »Ich hab doch gesagt … wir müssen einfach abwarten …«
Ein breites Lächeln trat auf meine Lippen, und eine Woge der Erleichterung trug mich davon. Den Sarkophag hatte ich vollkommen vergessen. Ich strich Wills T-Shirt glatt und holte tief Luft. »Du bist wieder in Ordnung«, seufzte ich erfreut.
»Na klar«, sagte er mit schwacher Stimme. »Aber ich wollte nicht, dass du mich so siehst. Und du solltest sie nicht sehen – nicht, bevor du dich erinnerst.«
Es blieb keine Zeit für Fragen. Ein weiterer Schatten ragte über uns auf. Und als ich mich suchend umschaute, entdeckte ich Bastian, der auf dem Kajütendach hockte und Will und mich mit ausdrucksloser Miene beobachtete. Während ich Will, dessen Flügel mittlerweile wieder verschwunden waren, auf die Beine half, hörte ich hinter mir einen Platscher. Wir drehten uns herum. Ivana war ohne den Sarkophag wieder aufgetaucht, ihr Haar war klatschnass, und ihr linker Arm hing in einem seltsamen Winkel am Körper. Ich schaute genauer hin, und als Ivana den Kopf in den Nacken legte und zornig aufkreischte, verstand ich, warum ihr Arm so merkwürdig aussah. Ihr Schulterblatt lag bloß, der Arm war ausgekugelt, ihr ganzer Körper aufgerissen, und der Schlüsselbeinknochen stach heraus. Den unverletzten Arm hatte sie um die Brust geschlungen, um die ausgerissene Schulter wieder an den Körper zu pressen. Die Muskeln und Adern verwoben sich miteinander, stießen abgestorbenes Fleisch ab und versiegelten das, was übrig war, bis alles perfekt verheilte. Ihr Hals war feuerrot, als hätte jemand sie beim Versuch, ihr den Arm abzureißen, gewürgt. Aber auch diese Verletzung verschwand allmählich.
Voller Entsetzen starrte ich auf das gruselige Schauspiel. Dann sah ich Will an, dessen Hände blutverschmiert waren. Ein eiskaltes Gefühl ließ mich erschauern. Hatte er das getan?
»Ergib dich, Preliatin!«, rief Bastian vom Kajütendach.
Mit einem geschmeidigen Satz landete er auf dem Deck und faltete die Flügel auf dem Rücken zusammen. »Du hast verloren, Bastian!«, rief ich. »Geir ist tot, und der Enshi liegt auf dem Meeresgrund!«
Bastian ignorierte mich und sah Will an. Ein subtiles, grausames Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Wie schön, dich wiederzusehen, William. Wie ich sehe, bist du froh, wieder mit deinem Schützling vereint zu sein, obwohl ich den Eindruck habe, dass sich euer Verhältnis ein wenig gewandelt hat.«
Will starrte finster und trotzig zurück.
Ivana näherte sich mit ihren durchnässten Kleidern, das Gesicht zu einer rachsüchtigen Fratze verzogen, doch Bastians Macht peitschte gegen ihre Brust. Sie taumelte zurück, ihre Flügel zitterten vor Schmerz und Kälte.
»Lass sie in Ruhe«, warnte Bastian sie.
Ivana knurrte und zeigte die Zähne. »Aber wieso denn?«
»Wenn du sie jetzt tötest, wird sie bloß wieder zurückkehren. Wir müssen warten. Geduld haben.« Bastians himmelblaue Augen fixierten mich. »Hab keinen Zweifel, Preliatin, dies ist nicht das Ende, noch nicht. Der Enshi wird erwachen und deine Seele verschlingen.«
Wie ein Vogel legte Ivana den Kopf auf die Seite, und ihr nasses, bleiches Haar fiel über ihre Schultern. »Hast du jemals eine Seele sterben sehen?«, fragte sie. »Warte nur, bis du fühlst, wie deine eigene Seele stirbt.«
Ungerührt erwiderte ich ihren Blick, doch mein Mut geriet ins Wanken, wenn ich mir ausmalte, wozu der Enshi fähig sein könnte.
Aus dem Augenwinkel nahm ich ein silbergraues Flügelpaar wahr. Ich wich zurück und stieß
Weitere Kostenlose Bücher