Meine Seele gehoert dir - Angelfire ; Bd. 1

ein Traum – es musste ein Traum gewesen sein. Was geschehen war, konnte nicht real gewesen sein. Es war nur Einbildung. Genau wie ich mir die schwarzen Spinnweben auf meinem Gesicht eingebildet hatte.
    Als sich eine Gruppe von Schülern näherte, zog er mich sanft zwischen die Schließfächer. »Der Reaper? Den du getötet hast?«, flüsterte er eindringlich.
    »Der was ? Was um alles in der Welt hast du bloß eingeworfen, Will?« Ich versuchte mich zu befreien, aber er hielt mich fest. »Hör zu, mit so was hab ich nichts zu tun, was auch immer es sein mag, also …«
    »Das reicht jetzt«, knurrte er und kam mir noch näher. »Du musst akzeptieren, was gestern Nach passiert ist und wer du bist, auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Zu tun, als wäre es ein Traum gewesen und ich ein Verrückter, wird dir nicht helfen. Dadurch wird alles nur noch schlimmer.«
    »Ich weiß nicht, wovon du redest!«, zischte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
    Will atmete tief ein, bevor er langsam weitersprach. »Hör zu, es tut mir sehr leid, und ich will dir keine Angst machen …«
    »Das tust du aber, verdammt noch mal!«
    »Hör mir einfach fünf Minuten lang zu, und dann verschwinde ich. In Ordnung?«
    Ich musterte sein Gesicht. Es war ihm wirklich ernst. Also beschloss ich, ihm den Gefallen zu tun. »Na schön.«
    Er atmete nochmals tief ein. Er sprach langsam, aber mit einer Eindringlichkeit, die mir noch mehr Furcht einjagte. »Was du letzte Nacht gesehen hast – womit du gekämpft hast –, war ein Reaper. Vergiss die sensenschwingenden Skelette in den langen Umhängen. Das hier ist real. Die meisten brauchen keine Sensen, weil sie Zähne und Klauen als Waffen besitzen. Sie fressen dich. Sie fressen dein Fleisch und dein Blut, und dann schleifen sie deine Seele in die Hölle. Dein Lehrer, Frank Meyer, wurde von dem, den du vergangene Nacht getötet hast, umgebracht und gefressen. Du bist die Preliatin, die einzige Sterbliche auf der Welt, die die Macht hat, sie zu bekämpfen. Und ich bin dein Beschützer, dein Bodyguard, eingeschworen, dich zu schützen und zu verteidigen. Und du machst mir meinen Job entsetzlich schwer.«
    Ich starrte ihn ein paar Sekunden lang an, ohne zu wissen, was ich darauf antworten sollte. Ich entschied mich für die einfache Variante. »Du bist ja vollkommen durchgeknallt.«
    »Verdammt!« Will rang die Hände. »Das ist doch lächerlich. Ich verstehe nicht, wieso du dich nicht erinnerst. Ich habe letzte Nacht deine Macht freigesetzt. Du bist wachgeworden und hast den Limbus auf eigene Faust betreten und den Reaper getötet. Warum erinnerst du dich jetzt nicht mehr daran?« Er trat einen Schritt zur Seite. Er sprach hastig, und seine Stimme klang besorgt. »Vielleicht liegt es daran, dass es schon so lange her ist. Vorher lagen immer nur achtzehn Jahre zwischen den Zyklen. Deine Seele hat zu lange geschlafen.«
    Ich wich zurück und lehnte mich gegen die Wand, unfähig, irgendetwas von dem zu verstehen, was er sagte. Dann fiel mein Blick auf die Metallkette um seinen Hals, die unter seinem Shirt verborgen war. Ein Bild blitzte vor meinem inneren Auge auf, von einem schimmernden Anhänger – einem Pluszeichen. Es war wie ein Déjà-vu, eine verschüttete Erinnerung, wenn es überhaupt irgendeinen Sinn ergab.
    »Und wenn du dich fragst, wo deine Kapuzenjacke geblieben ist, schau in deinem Papierkorb nach. Tut mir leid, dass sie zerrissen ist.«
    »Zerrissen?«
    »Gibt es ein Problem, Ms Monroe?«
    Ich drehte mich um und sah einen der Konrektoren, Mr. Abbot, der hinter mir stand und mich und Will anschaute.
    »Wer ist denn der junge Mann?«, fragte Mr Abbot, dem offensichtlich klar war, dass Will kein Highschool-Schüler war. Sein tadelnder Blick fiel auf die Tätowierungen, die sich über Wills Arm zogen und in seinen Augen ein sicheres Anzeichen für Kriminalität darstellten.
    »Ein Bekannter«, sagte Will. »Ich bin vorbeigekommen, um Ellie ihre Hausaufgaben zu bringen. Sie hat ihre Mappe bei mir liegen lassen.«
    Mr Abbot sah mich fragend an. »Stimmt das?«
    Ich nickte. »Ja, Sir. Es ist alles in Ordnung.« Ich wusste nicht, warum ich ihn deckte. Vielleicht hatte seine Verrücktheit mich angesteckt wie ein Schnupfen oder etwas Schlimmeres.
    Er wandte sich wieder an Will. »Junger Mann, ich muss Sie bitten, das Schulgelände zu verlassen. Sehr freundlich, dass Sie Ellies Hausaufgaben gebracht haben. Aber da Sie kein Schüler dieser Schule sind und keinen Besucherausweis beantragt haben,