Meine Seele gehoert dir - Angelfire ; Bd. 1
Menschen und den Himmel zu verteidigen. Wir, die engelhaften Reaper, sind hier, um dir zu dienen und dich vor den Dämonischen zu beschützen. «
Ich spürte die Inbrunst in seinem Blick. »Dann wurdest du also zu dem geboren, was du bist, und nicht dazu gemacht ?«
»Korrekt«, bestätigte er. »Wir wachsen auf wie normale Menschen, aber je älter wir werden, desto langsamer altern wir, bis wir ganz damit aufhören. Wenn wir mit Anfang zwanzig erwachsen werden, bleibt die Zeit für uns stehen, könnte man sagen.«
Ich musterte ihn nervös. »Und du … isst du auch Menschen? «
Er lachte leise und schüttelte den Kopf. »Nein. Die Engelhaften fressen keine Menschen. Wir essen ganz normal. Ich mag gern Cheeseburger.«
»Keine Menschenburger«
»Natürlich nicht!«
Ich tat einen erleichterten Seufzer. »Dann bist du also wie ein normaler Junge aufgewachsen?«, fragte ich. »Wo kommst du her?«
»Ich wurde in Schottland geboren. Meine Mutter war Engländerin, lebte zu der Zeit aber in Schottland. Ich bin 1392 geboren. Über meine Kindheit gibt es wirklich nicht viel zu erzählen.«
Ich dachte an den heißen schottischen Akzent von James McAvoy, und die Vorstellung, dass Will genauso gesprochen hatte, ließ mich fast den Ernst unseres Gesprächs vergessen. »Wie kannst du das sagen? Leute, die zehn Jahre lang überhaupt nichts getan haben, können stundenlang von sich erzählen. Und aus dir kriegt man kaum einen Satz heraus.«
»Nun ja, wir beide sind uns zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in London begegnet. Ich war am Hof, kurz nachdem der junge Heinrich VIII den Thron bestiegen hatte. Ich habe damals Jagd auf Reaper gemacht, die die Gestalt von Adligen angenommen hatten.«
Ich konnte nicht ertragen, wie trübsinnig er dreinblickte, und versuchte ihn aufzumuntern. »Okay, und jetzt sagst du das Ganze noch einmal mit deinem damaligen Akzent.«
Zu meiner Freude lachte er. »Wie bitte? Nein, das kann ich nicht. Es ist Ewigkeiten her. Die Sprache ist mir nicht mehr vertraut.«
»Ich bin sicher, wenn du dir ein bisschen Mühe geben würdest …«
»Ich habe in den letzten Jahrhunderten so viele Sprachen gelernt, dass sie mir alle gleich vorkommen.«
»Dann erzähl mir doch ein bisschen von deinem damaligen Leben. Ich möchte so gerne mehr über dich erfahren.«
»Was gibt’s schon zu erzählen?«, sagte er müde. »Das Essen war schrecklich, und unsere Anziehsachen waren im Sommer viel zu dick und zu warm. Die Menschen starben wie die Fliegen. Sie wurden krank. Alle paar Jahrzehnte forderte eine Seuche Tausende von Menschenleben. Es war wirklich keine besonders lustige Zeit.«
An so etwas hatte ich gar nicht gedacht. »Igitt.«
»Ja. Du lernst in der Schule was darüber, aber in den Lehrbüchern gibt es keine Farbfotos von damals.« Er machte ein ernstes Gesicht. »Sei froh.«
Ich schnitt eine Grimasse. »Okay, Schluss mit den deprimierenden Geschichten.«
»Du hast zu der Zeit auch gelebt. Und lange davor. Du bist also auch nicht um all diese unangenehmen Dinge herumgekommen. «
»Eigentlich kann ich für meine Amnesie nur dankbar sein. Sie hat all meine Erinnerungen an die Schwarze Pest ausgelöscht. Die Wege des Herrn sind wirklich manchmal unergründlich. «
»Ja, das sind sie«, sagte er, und seine Augen blickten wieder ernst.
»Aber du sollst mir keine allgemeinen Sachen aus dem vierzehnten Jahrhundert erzählen, die in jedem Geschichtsbuch stehen.« Ich schaute auf die Kette mit dem Kruzifix, die er unter dem Hemd trug. »Erzähl mir von deiner Mom.«
Als er eine Weile stumm blieb, fühlte ich mich schuldig, ihn bedrängt zu haben.
»Was möchtest du wissen?«, fragte er schließlich.
Ich ahnte, dass er keine große Lust hatte, in Kindheitserinnerungen zu schwelgen, aber vielleicht würde es ihm helfen, über seine Mutter zu sprechen. »Wie war sie?«
»Sie war eine engelhafte Vir, so wie ich. Weibliche Reaper können in jedem Jahrhundert nur ein oder zwei Kinder bekommen. Geburten sind also eine Seltenheit. Ob ein Vir engelhaft oder dämonisch ist, wird durch das Erbe seiner Mutter bestimmt.«
»Lebt deine Mutter noch?«
»Ich glaube nicht. Ich habe sie seit meiner Jugend nicht mehr gesehen.«
»Das tut mir leid«, sagte ich.
»Ist schon gut. Ich hatte genügend Zeit, mich damit abzufinden. Ich weiß kaum noch, wie sie aussah. Ich war damals noch so jung.«
Wenn der Tod seiner Mutter ihm so wenig ausmachte, warum trug er dann noch immer das Kreuz, das sie ihm geschenkt hatte?
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