Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
worden; es gab nicht einmal einen Bürgersteig. Also stellte ich mich auf die Straße. Das machten schließlich alle so. Das Geschäft fand ich auch im Schneegestöber, denn der Duft schnitt hellgelbe Scheiben in die Luft. Die »Caciosteria« fungiert zugleich als Käserei, in der man Dutzende selbsthergestellter Sorten sowie ein paar auserwählte Spezialitäten aus ganz Europa kaufen kann, und Fleisch, Aufschnitt und Salami kommen aus der »Macelleria Savigni« nebenan, die ebenfalls einen hervorragenden Ruf genießt und von außen mit einem Wildschweinkopf grüßt, also nicht zu verfehlen ist, aber Tierisches ist ja nicht das Thema dieses Buches.
Eine verglaste, erhöhte Veranda vor dem eigentlichen Geschäft bietet einen perfekten Blick auf verzweifelt einen Parkplatz suchende Gäste, im Laden selbst gibt es nur wenige Tische, die von Regalen randvoll mit Großartigkeiten umgeben sind – schwere Rotweine, hausgemachte Pasta, Risotti, Gewürze, Pasteten. Domenico kümmert sich um die Gäste, Betty ist die Köchin, und manchmal steht auch noch Domenicos Bruder am Grill, der abends angeworfen wird (der Grill, nicht Domenicos Bruder). Betty sieht aus wie ein Fotomodell, das aus Versehen Kochmütze und Schürze trägt, und auch ihr Mann Domenico ist gertenschlank (da haben wir’s wieder), wobei mir eine schöne Geschichte einfällt: Ein Freund von mir gründete einmal in München eine Gourmetzeitschrift. Er ist 1,93 Meter groß, und man könnte ihn fast dünn nennen, aber das klingt so kränklich. Nein, er hat eine Radrennfahrer-Figur. Jedenfalls ließ er in der Gründungsphase die bekanntesten deutschen Gourmetjournalisten antanzen, die alle mit einer gewissen körperlichen Üppigkeit gesegnet waren. (Ähnlichkeiten mit der heutigen Gourmetjournalistenszene sind höchstens noch rudimentär, denn das Zeitschriftenvorhaben liegt etwa zwanzig Jahre zurück.) Und jeder, wirklich jeder dieser runden, jovialen Burschen machte im Verlauf des Gesprächs eine Bemerkung zu der erstaunlich zarten Figur meines Freundes – offenbar konnte man in deren Kreisen niemanden ernst nehmen, der nicht mindestens 35 Kilo Übergewicht mitbrachte. Beim letzten Gourmetjournalisten, der sich über die fehlenden Rettungsringe mokierte, platzte meinem Freund der
Kragen: »Wenn Sie glauben, dass es Sinn und Zweck des guten Essens sei, möglichst viel Fett anzuhäufen, dann bringen Sie eine merkwürdige Berufsauffassung mit.«
Was ich mit diesem Exkurs sagen will: Wenn Domenico und Betty tagtäglich bis zu den Knöcheln im Pastateig waten und auch noch zahlreiche Käse selbst herstellen, dann gab es für mich wirklich keine Entschuldigung, von dieser Reise birnenförmig zurückzukommen.
Also: hingesetzt und aufgewärmt, was in der heimeligen Atmosphäre praktisch von selbst geht. Während ich die Karte studierte, kam eine Sechsergruppe Straßenarbeiter in reflektierenden Overalls rein, und neben mich setzten sich drei Handwerker, die Stammgäste waren und mit Domenico scherzten. Domenico und Betty bieten nämlich einen preiswerten Mittagstisch an, die hausgemachte Pasta für fünf Euro.
Die erste Spezialität von Domenico und Betty sind Gnudi . Dabei handelt es sich um die Ricotta-Füllung von Tortellini, aber eben nur um die Füllung ohne den Pastateig (beziehungsweise nur mit einer hauchdünnen Mehlstaubschicht), und Betty erklärte, dass die wahre Kunst darin besteht, die empfindlichen Gebilde so langsam wie möglich ins Kochwasser hinabzusenken, sonst würde sich der Klops in seine Einzelteile auflösen. Pasta ohne Pasta gewissermaßen, und nur hier erhältlich. Die Gnudi, die es wirklich nur hier in der »Caciosteria« gibt, werden mit Pesto serviert. Sie waren hervorragend, aber so dominierend, gaumenfüllend, geschmacksintensiv, dass das Essen regelrecht schwer fiel. Es war, als würde man
nicht die Gnudi essen, sondern umgekehrt, die Gnudi würden einen selbst verspeisen.
Gnudi sind übrigens ein Wortspiel aus Gnocchi und nudi. Freie Übersetzung: Nacktklöße.
Die zweite Spezialität: Tortelloni in burrata , also mit Mozzarella-Füllung, dazu mit einem englischen Shropshire-Gorgonzola übergossen, der nicht nur nach Gorgonzola, sondern auch ein wenig nach Orangen schmeckt. Definitiv die beste Pasta ripiena, die ich bislang gegessen hatte, eine Götterspeise, die den beschwerlichen Weg wert war.
Die dritte Spezialität: hausgemachte Tortellini, so winzig wie ein 2-Cent-Stück. Sie werden mit einer Wickelbewegung um den kleinen
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