Meine Welt hinter den Sternen - Vestin, A: Meine Welt hinter den Sternen
ich musste nach Hause. Dort kam mir alles so fremd vor.
Am Morgen wachte ich pünktlich auf. Ich ging ins Bad, um mich, wie immer, herzurichten. Am Frühstückstisch herrschte trübselige Stimmung. „Ach so“, fing mein Großvater an, „nur dass du’s auch weißt, deine Großmutter und ich sind heute über Mittag nicht da. Wir kommen gegen Abend wieder. Wir sind bei Bekannten eingeladen.“ „Aha“, machte ich und war begeistert. Ich hatte also das ganze Haus für mich. „Aber nicht dass du denkst, du kannst die ganze Zeit nur fernsehen. Es ist die Wäsche zu bügeln“, gab meine Großmutter dazu und ich sagte nichts. Es -hätte mich auch sehr gewundert, wenn ich ohne Aufgaben zu Hause geblieben wäre. Schließlich machte ich mich auf in die Schule. Sie verging diesmal sehr langsam …
Zu Hause beeilte ich mich, die Wäsche zu bügeln. Die Lehrer waren bei dem schönen Wetter wenigstens so gnädig gewesen und hatten keine Aufgaben gegeben.
Als ich mit dem Bügeln fertig war, trug ich die Wäsche hinauf, um sie einzuräumen. Ordentlich legte ich meine Klamotten in den Schrank. Nun waren die Sachen meiner Großeltern dran. Ich stand vor ihrem Schlafzimmer. Eigentlich legte ich ihre Wäsche immer nur vor die Tür, es war mir ja verboten worden, dort hineinzugehen, doch die Neugier war größer als die Angst. Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Tür. Vorsichtig lugte ich hinein. „Wow“, staunte ich. Das Zimmer war in einem warmen Orange angestrichen. Es gab zahlreiche Fenster, wenn auch mit Vorhängen verdeckt. Der Raum war sehr groß. Ich hätte nie gedacht, dass meine Großeltern so ein schönes Zimmer hätten. An den Wänden hingen lauter Fotos. Ich begutachtete sie. Meine Großeltern sah ich darauf abgebildet, als sie noch sehr jung waren. Dann blickte ich auf das Nachtkästchen. Auf dieser Seite schlief offensichtlich meine Großmutter, denn ich entdeckte dort ihre zahlreichen Ketten. Doch nicht nur sie lagen da, sondern auch ein großes Foto. Es befand sich in einem goldenen Rahmen. Das Glas davor war verwischt. Offenbar wurde das Foto oft in die Hand genommen. Ich wischte den Dreck beiseite.
Zu sehen waren zwei ältere Leute und eine kleine Familie. Dort standen der Vater, die Mutter und das Kind. Vielleicht wollte ich es nicht begreifen, denn erst Augenblicke später wurde mir bewusst, dass ich zum ersten Mal meine Eltern gesehen hatte. Das kleine Kind auf dem Arm des Vaters war ich. Ich konnte es kaum glauben. Tränen der Freude stiegen mir in die Augen. Die älteren Leute waren meine Großeltern. Unglaublich: Da standen mein Vater und meine Mutter. Meine Eltern. Mutter hatte hüftlanges, blondes Haar. Sie war wunderschön und hatte das gleiche Lächeln wie ich. Sie trug ein rotes Kleid, schaute leicht zur Seite und blickte mich an. Auch ich lächelte. Mein pechschwarzes Haar war schulterlang. Mein Vater sah stolz aus. Er war sehr groß und hatte die gleichen Augen wie ich. Sonst sah ich wenige Ähnlichkeiten. Bis auf das Haar. Es hatte die gleiche Farbe wie meines. Ich hätte das Ebenbild meiner Mutter sein können. Wäre ich genauso alt gewesen wie sie und hätte blondes Haar gehabt, hätte man uns für Zwillinge halten können. Doch sie war nicht mein Zwilling, sie war meine Mutter.
Heute war gewiss mein schönster Tag im Leben. Ich hatte das erste Mal meine Eltern gesehen. Wir waren eine richtige Familie gewesen.
Schließlich legte ich das Foto wieder zurück. Erst jetzt bemerkte ich die große Truhe an der Wand. Sie sah alt aus und hatte ein Schloss. Mein Puls ging schneller und der Atem kam stoßweise. Ich wischte mir die Tränen der Freude weg und atmete tief durch. Vorsichtig öffnete ich die Truhe. Wie oft hatte ich schon die Chance, das Geheimnis meiner Familie aufzudecken? Ich schaute hinein. Überall sah ich kleine Kisten und nahm eine heraus. Dort stand in großen Buchstaben geschrieben:
Leyanne
Leyanne. Ein seltener Name. Ich öffnete die Kiste. Sie enthielt lauter Fotos. Ich erkannte die Frau natürlich sofort. Es war meine Mutter mit ihrem blonden Haar. Ich lächelte, als ich die Fotos ansah. Sie war wirklich wunderschön gewesen. Es gab zahlreiche Fotos von ihr. Ihre Kindheit, die Schulzeit, ihre Jugend … einfach alles war abgebildet. Mutter hatte ein tolles Lachen, außerdem war sie sehr fotogen. Oft war mein Vater auch drauf. Er strahlte ebenfalls. Bald hatte ich alle Fotos durchgeschaut. Ich schloss die Kiste, nicht ohne mir eines herauszunehmen. Dann griff ich
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