Meine Welt hinter den Sternen - Vestin, A: Meine Welt hinter den Sternen
Nachrichten eingeschaltet. „Du hast doch noch Hausaufgaben zu machen und außerdem ist es gleich neun Uhr. Du gehörst ins Bett!“, fuhr mich Großvater an. Ich wollte widersprechen, doch ein Blick meiner Großmutter riet mir, dass ich es lassen sollte. Ich wünschte den beiden noch eine gute Nacht und schleppte mich hinauf in das Obergeschoss. Links lagen das Badezimmer und die Abstellkammer, rechts das Zimmer von meinen Großeltern und das von mir. Es war das letzte Zimmer, das kleinste von allen, soweit ich wusste. Das Schlafzimmer meiner Großeltern hatte ich noch nie betreten. Meine Großmutter hatte mich schon am ersten Tag ermahnt, dort nie hineinzugehen. Ihre Erklärung dafür: Es ginge mich nichts an, sie hätten auch ihre Privatsphäre.
Ich betrat mein Zimmer. In der Mitte stand mein Bett. Links neben der Tür befanden sich mein Schreibtisch und der Schrank. Anfangs hatte der Schreibtisch unter dem Fenster gestanden, aber ich hatte ihn weggeschoben. Ich musste doch die Sterne sehen. Mein Teddybär saß wie immer auf dem frisch gemachten Bett und schielte zu mir herüber. Er lächelte. Meine Hausaufgabenhefte stopfte ich zurück in die Schultasche und holte meinen Schlafanzug aus dem Schrank. Schnell zog ich mich um und lief ins Badezimmer, um mir die Zähne zu putzen.
Ich betrachtete mein Spiegelbild. Eigentlich war ich für mein Alter doch recht hübsch. Ich hatte pechschwarzes, hüftlanges Haar und einige wenige Pickel im Gesicht. Aber mit 15 Jahren war das doch normal, oder!? Ich war sehr schlank, sogar etwas mager. Ich kleidete mich klassisch und nicht zu auffällig. Meine hellblauen Augen glichen der Farbe des Meeres und meine Augenbrauen waren nicht zu buschig. Ich konnte an meinem Aussehen im Großen und Ganzen nichts aussetzen. Und manchmal sah ich auch, dass sich die Jungen meiner Klasse nach mir umdrehten, auch wenn sie mich sonst ignorierten.
Ich bürstete mein Haar und putzte die Zähne. Schließlich tapste ich zurück in mein Zimmer, schlug mein Bett auf und legte mich hinein. Meinen Teddy nahm ich fest in den Arm und hoffte, am nächsten Morgen nicht wieder schweißgebadet aufzuwachen.
Albträume
Es war kalt. Ich lief einen langen, düsteren, schwarzen Korridor entlang. Ich fror und hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Alles um mich herum war schwarz. Nur schwer konnte ich überhaupt erkennen, wo ich entlanglief. Mein Haar klebte mir an der feuchten Stirn. Wie lange musste ich es noch aushalten, bis ich an das Ende des Korridors kam? Ich hatte Angst. Ich war ganz allein, allein, wie ich immer war. Wie oft war ich diesen Korridor schon entlanggelaufen? Fünfzehn Mal? Zwanzig Mal? Ich hatte bereits aufgehört zu zählen.
Plötzlich vernahm ich ein Schreien. Einen gellenden Schrei, der mir durch Mark und Bein ging und mich erschauern ließ. Jede Nacht vernahm ich diesen Schrei. Er kam von einem Kind. Einem kleinen Kind, einem Jungen, den ich schon so oft besucht hatte. Ich lief schneller. Diesem Kind musste doch geholfen werden! Ich wollte es in die Arme schließen und es trösten. Ja, einfach nur trösten. Und dann sah ich es plötzlich vor mir. Ein Junge, scheinbar nicht älter als neun oder zehn Jahre. Mit tränenüberströmtem Gesicht sah er mich an. Ich konnte den Kleinen nicht genau erkennen. Er schien leicht verschwommen. Ich sah nur seine Umrisse. Er streckte die Hände nach mir aus. Ich wollte ihn auf den Arm nehmen, doch ich konnte nicht. Wie versteinert blieb ich vor ihm stehen und sah ihn an. Tränen tropften ihm auf den dreckigen Pullover. Das Kind war gefesselt. Doch ich konnte ihm nicht helfen. Und dann war ich plötzlich wieder weg. Weg von dem Korridor, weg von dem schreienden Kind, weg von all der Angst. Zurück in einer anderen Welt …
Schweißgebadet saß ich aufrecht in meinem Bett. Wieder hatte ich einen Albtraum gehabt. Fast jede Nacht machte ich dies mit. Aber inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. Es war nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Das Kind jedoch erinnerte mich an irgendjemanden, auch wenn ich die Gesichtszüge nicht genau erkennen konnte. Ich setzte mich auf und trat ans Fenster. Die Sterne leuchteten hell in der Nacht. „Was kann ich nur dagegen machen?“, fragte ich mich und öffnete das Fenster, sodass die kalte Nachtluft hereinströmte. Tief atmete ich ein. Es tat gut. Ich sah auf den Wecker. Seine roten Ziffern zeigten bereits halb drei. Jetzt konnte ich sowieso nicht mehr einschlafen und deswegen holte ich meine Schultasche unter dem
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