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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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retten war, wohl wissend, dass mir ein heftiges Donnerwetter bevorstand.
    Die Frau kannte mich. Nachdem ich ihr hochgeholfen hatte, schnappte sie meinen Arm und schlug den Weg zu Friedas Wohnung ein.
     Ich trug das Blech mit den kümmerlichen Überbleibseln, meine Kumpel hatten sich schon längst verzogen.
    Da die untere Haustür abgeschlossen war, musste ich die Klingel betätigen. Frieda kam herunter und schaute misstrauisch erst
     das Blech, danach mich an. Als die Nachbarin die Unglücksgeschichte in aller Dramatik berichtet hatte, bestand sie darauf,
     dass Frieda ihr wenigstens drei der eigenen schon gebackenen Stollen hergeben sollte.
    «Zwei!» Es war unmissverständlich, dass dies das letzte Wort meiner Oma sein würde.
    Ich hörte sie schwer atmen. Ihr, der Kaffeesächsin, musste dieser Handel zutiefst in der Seele schmerzen, zumal unsere Stollen
     mit Zutaten aus dem Westen hergestellt worden waren. Vor Weihnachten bekam meine Mutter von ihren Freunden aus Lübeck und
     Weilheim immer ein Paket mit Butter, Mandeln, Sukkade, Marzipan und Rosinen – es wurde jedes Jahr sehnsüchtig erwartet.
    Nachdem die Nachbarin mit unseren «West-Stollen» verschwunden war, flogen nicht einmal die Fetzen. Das bedeutete höchste Alarmstufe.
     Frieda schoss aber mit ihren Augen unablässig Giftpfeile auf mich ab. So schnell und freiwillig bin ich weder vorher noch
     nachher jemals ins Bett gegangen.
    Hin und wieder erhielten wir auch Bohnenkaffee aus dem Westen, der natürlich nur zu besonderen Anlässen serviert wurde. Die
     kleine Wohnung roch dann nach diesem «richtigen» Kaffee, alle schnupperten andächtig herum, nicht einmal die Fenster durften |46| geöffnet werden, weil der kostbare Duft in den Räumen bleiben sollte.
    Einmal, ich war acht Jahre alt und erinnere mich gut, wurde der Geburtstag von Frieda gefeiert. Einige Verwandte kamen zu
     Besuch, direkt nach der Arbeit, um noch Kuchen zu essen und Kaffee zu trinken. Pünktlich traf ich ein, sogar vor den Gästen,
     hatte aber meine Freizeit bis zur letzten Minute auf dem Fußballplatz verbracht. Entsprechend sah ich auch aus.
    «So kannst du die Leute nicht begrüßen», sagte meine Großmutter, als sie mich in die Wohnung kommen sah. «Geh dich erst mal
     waschen, aber rasch.»
    Da wir kein fließend warmes Wasser hatten, nahm ich den Kessel vom Herd, in dem normalerweise das Waschwasser war, und schüttete
     den Inhalt in unsere kleine Emaillewanne, die wir benutzten, um uns zu säubern. Seltsam, das Wasser war dunkelbraun, ich hatte
     doch noch gar nicht losgelegt   … Erst nach einer Weile begriff ich, dass ich den frisch gebrühten Bohnenkaffee in die Schüssel gefüllt hatte. Und ich wusste,
     weil man sich morgens am Frühstückstisch lange darüber ausgelassen hatte, dass es die allerletzte Kaffeeration aus dem Westen
     war.
    Frieda konnte ich mein Versehen nicht offenbaren, ich hatte zu viel Respekt vor ihr und ihrem Ehrentag. Also rief ich leise
     meine Mutter herbei, zeigte ihr das Dilemma und fragte sie, was ich denn jetzt machen solle.
    «Wir müssen es Frieda zeigen», meinte meine Mutter. «Das lässt sich nicht vermeiden.»
    Also wurde meine Oma geholt. Sie schaute auf die braune Brühe und meinte nur: «Na und, so kommt das Dreckschwein jeden Abend
     nach Hause.» Im nächsten Moment war sie wieder weg. Meine Mutter und ich gossen den Kaffee zurück in den Kessel. Keiner der
     Gäste hat sich über eventuelle Seifenreste beschwert.
     
    |47| Nichts habe ich als Kind vermisst. So klein die DDR auch war, für mich war sie riesengroß. Und sie hat mich letztlich zu dem
     werden lassen, was ich heute bin. Es gab einen Tagesablauf, der schöner nicht hätte sein können. Schule (na ja!), aber danach
     ging es zum Fetten auf unseren Platz oder in ein anderes Revier, das ebenfalls eine Mannschaft zusammengestellt hatte. Diese
     kleinen Straßenmeisterschaften waren überhaupt ein besonderer Höhepunkt, war es dann doch möglich, anderen zu zeigen, was
     man konnte.
    Gespielt wurde ohne Schuhe. Keiner von uns Nachbarskindern besaß spezielle Fußballschuhe. Anfangs fetteten wir mit unseren
     Straßenschuhen, aber die waren damals sehr teuer und gingen durch unsere heftigen Ballaktionen ziemlich schnell kaputt, weshalb
     ich ein paar hinter die Löffel bekam. Also spielte ich wie die anderen Jungen barfuß oder in Strümpfen, bis weit in den Oktober
     hinein. Es gab einen aus unserer Gruppe, der den Lederball nicht besonders gut traf – wir nannten

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