Meine zwei Halbzeiten
geschockt, gleichwohl nahm ich die Entscheidung hin, ohne ein Wort zu verlieren. Als ich allein in meinem Zimmer
war, sagte ich jedoch laut zu meinem Spiegelbild: «Ewig macht ihr das nicht mit mir.»
Gegen die griechische Mannschaft gelang meiner Jugendauswahl nur ein Unentschieden, auch bei dem Rückspiel in Babelsberg,
diesmal wieder mit mir als Cheftrainer kamen wir in der regulären Spielzeit nicht über ein 0 : 0 hinaus. Das entscheidende Elfmeterschießen verloren wir, weshalb wir die Teilnahme am der UEF A-Turnier verpassten.
Einen Tag nach dem Spiel durften Eddie und ich – mittlerweile geschieden – noch nicht zurück nach Leipzig fahren. Wir mussten
zum Rapport antreten, beim höchsten Sportfunktionär. Nie zuvor hatte ich mit Manfred Ewald ein längeres persönliches Gespräch
geführt. Er war gefürchtet, ging es nicht nach seiner Meinung, |120| schrie er gern herum, und man konnte froh sein, wenn man endlich sein Zimmer verlassen durfte. Eigentlich hielt er Fußball
ohnehin für eine «Proletensportart».
Kaum waren Eddie und ich zur Tür hereingetreten, ergoss sich auch gleich ein Schwall von Worten über uns. Wie könne man denn
gegen eine griechische Fußballmannschaft ausscheiden, wo wir in allen anderen Sportarten gegen die Griechen siegten, brüllte
er. Das würde es nicht im Rudern geben, nicht in der Leichtathletik, nicht im Radsport.
«Na ja», entgegnete ich, «ein paar andere Sportarten fielen mir da schon ein …» Das war das Verkehrteste, was ich machen konnte: Ich hatte ihm widersprochen. Nun schrie Ewald nur noch, hauptsächlich
in meine Richtung, da ich der Cheftrainer war. Nachdem ich seine Vorhaltungen hatte eine Weile stumm über mich ergehen lassen,
sah ich plötzlich rot und sagte: «Sie erzählen mir die ganze Zeit etwas von Griechenland, aber ich war gar nicht beim Spiel
auf Kreta dabei.»
Stille. Ich merkte, dass Ewald nichts von meinem West-Verbot wusste. «Wieso warst du nicht in Griechenland?», fragte er scharf.
«Ich gehöre im Moment nicht zum Reisekader.»
«Nicht zum Reisekader? Wie ist das als Chef der Mannschaft möglich?»
«Weil ich nicht verheiratet bin.»
«Dann musst du eben so schnell wie möglich heiraten, dann bist du auch das nächste Mal im westlichen Ausland dabei!»
Ewald fuhr mich so heftig an, dass ich dachte, das war’s. Babelsberg verbuchte ich in Gedanken schon als meine letzte Traineraktion.
Als der oberste Sportchef uns endlich erlaubte, zu gehen, kam ich mir wie ein kleiner dummer Junge vor.
«Bist du denn wahnsinnig», zischte Eddie, nachdem wir uns einige Schritte von Ewalds Büro entfernt hatten. Durch seine Frau
kannte er ihn besser als ich. «Wie konntest du dich ihm nur |121| widersetzen? Du hättest ihn in dem Glauben lassen sollen, dass wir im Sport überall gewinnen. Und du hättest dem Mann nicht
noch auf die Nase binden müssen, dass du nicht in Griechenland warst.»
Inzwischen wieder viel ruhiger geworden, erwiderte ich: «Alles kann ich mir nicht gefallen lassen.» Ich hatte von dem ganzen
Theater die Schnauze voll und wollte nur noch nach Leipzig.
Kurz nach dieser Standpauke bei Ewald nahm mich Werner Lempert zur Seite. In all den vergangenen Jahren war ich gut mit ihm
zurechtgekommen, er war nicht viel älter als ich, ein sportlicher Typ. Nun versuchte er mir klarzumachen, dass der Fußball-Verband
seine Entscheidung wieder zurücknehmen könne: «Jörg, ich will, dass du wieder Reisekader bist. Du kannst weiter nach oben
aufsteigen. Vielleicht erhältst du auch die Chance, eines Tages Nationaltrainer zu werden. Ich kann das vorschlagen.»
Die Bedingung dafür war natürlich eindeutig, ich sollte wieder vor das Standesamt treten.
Als könnte er Gedanken lesen, fragte mich Lempert: «Und übrigens, was ist denn mit deiner Freundin aus Wilhelmshorst?»
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Woher wussten die von Monika? Ich hatte sie in Berlin bei einem Bummel über den Alexanderplatz
kennengelernt. Seitdem besuchte ich sie öfter vor allem sonntags – Wilhelmshorst lag bei Potsdam –, wenn ich zu den einmal im Monat stattfindenden Montagssitzungen der Sportführung des DTSB in die Storkower Straße nach
Berlin fuhr. Sie war eine Freundin, mehr nicht.
Nach all den vergangenen Erlebnissen war mir mehr und mehr bewusst geworden, dass ich der DDR den Rücken kehren wollte – ich
konnte mir nicht vorstellen, einfach weiterzumachen wie zuvor, selbst wenn ich
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