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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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einige Hundertmarkscheine.
    Sie zuckte nur mit den Schultern.
    «Und wo willst du das jetzt hintun?»
    «An deiner Seite hängt mein Mantel. Du steckst es einfach in die Seitentasche.»
    «Da kann es doch jeder finden!»
    «Glaubst du, ein Grenzbeamter sucht in einer Manteltasche nach Devisen? Eher nimmt er das ganze Auto auseinander.» Ich musste
     ihr recht geben.
    Die Grenze passierten wir tatsächlich ohne Probleme. Dennoch atmete ich erleichtert auf und wischte mir einige Schweißperlen
     von der Stirn, als wir in der Tschechoslowakei waren. Wenn wir mit dieser Menge von Westgeld erwischt worden wären, man hätte
     mich nicht einmal mehr als Trainer eines drittklassigen Vereins arbeiten lassen.
    «Sieh zu, dass du bald wieder heiratest!» Lempert riss mich mit seinen Worten aus meinen Gedanken. Er zuckte nur noch mit
     den Schultern, klopfte mir auf den Rücken und ging seinen weiteren Pflichten nach.
    Dieses Gespräch mit dem Fußballpräsidenten bestätigte meine Vermutung, dass ich nicht nur von einer Person observiert wurde.
     Harriet hatte ich von Monika nun wirklich nichts erzählt. Für mich bedeutete dies, dass ich mir noch genauer die Menschen
     anschauen musste, mit denen ich zu tun hatte. Viel häufiger sah ich seitdem auch in den Rückspiegel, achtete darauf, ob mich
     jemand verfolgte. Später stellte sich heraus, dass dies der Fall war.

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Nadja, die schicksalhafte Schrankwand
    |127| Die Scheidung war längst vollzogen, doch ich lebte noch gut ein Jahr mit Ron und Harriet zusammen. Da in Leipzig – eigentlich
     überall in der DDR – ein eklatanter Wohnungsmangel herrschte, ich aber nicht vier oder fünf Jahre mit meiner Ex-Frau weiter
     unter einem Dach schlafen und essen wollte – was genauso üblich war   –, musste ich mir einen schnelleren Weg überlegen. Nach einem eindringlichen Gespräch mit Heinz Fröhlich, dem Zweiten Sekretär
     der SE D-Bezirksleitung , sagte man mir, ich solle mich beim Wohnungsamt melden, da würde man etwas für mich tun.
    Als ich dort aufkreuzte, hatte man für mich eine Einraumwohnung in einer neu erbauten «Platte» in der Nordstraße 39 (Wohnung
     Nr.   651), in der Nähe des Leipziger Zoos.
    «Welcher Stock?», fragte ich die Frau, die meinen «Vorgang» bearbeitete.
    «Fünfter.»
    «Und die Seite?» Das längliche Gebäude war so errichtet worden, dass es eine Ost- und eine Westseite gab, vergleichbar dem
     Block in der Bruno-Plache-Straße.
    «Osten.»
    «Den Sonnenaufgang habe ich in den letzten Jahren oft genug genossen, dieses Mal würde ich gern den Sonnenuntergang sehen.»
     Sonnenuntergang bedeutete Westseite, bedeutete auch die Möglichkeit, Westfernsehen zu empfangen. Abend für Abend konnte man
     auf diese Weise wenigstens «geistige Republikflucht» begehen.
    «Ich weiß schon, was Sie mir sagen wollen», bemerkte die Frau trocken. «Aber entweder Sie nehmen Ostseite, oder es gibt keine
     Wohnung.»
    Widerspruch war zwecklos, also entschied ich mich für ein zweites Mal Ostseite. Trotz des Gesprächs mit Lempert und meiner
     Vorsätze nach der nicht ungefährlichen Pragreise mit Karin hatte ich in dieser Wohnung meine Sturm-und-Drang-Zeit. Hätte sich
     ein Stasibeamter in die Nebenwohnung einquartiert und |128| mich von dort aus abgehört, ihm wäre mit Sicherheit nicht langweilig geworden.
    Mein in jeder Hinsicht bewegtes Leben war eindeutig eine Reaktion darauf, dass ich meine wirklichen Gedanken und Gefühle verdrängen
     musste. Frauen, Partys, Alkohol – je mehr, desto besser. Die Gefahr abzustürzen wurde dadurch nicht geringer. Doch je exzessiver
     ich mich verhielt, umso mehr glaubte ich, in dieser für mich unbefriedigenden Situation wenigstens locker leben zu können.
     Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder eine Möglichkeit bekommen würde, in den Westen zu reisen. Eine Möglichkeit, um auch
     dort zu bleiben. Dass ich das wollte, daran zweifelte ich nicht mehr. Diese Ungewissheit aber vermochte ich nur auszuhalten,
     indem ich so wenig wie möglich zum Nachdenken kam.
    Doch was, wenn ich vielleicht erst in acht Jahren eine neue Chance erhielt? Oder gar nicht? Ich wollte mir das nicht vorstellen.
     Unendlich lange Jahre der Tarnung und ständigen Verstellung – konnte man das überstehen? Konnte ich das überstehen? Würde
     ich mich am Ende doch wieder mit dem System arrangieren, weil ich einfach viel zu zermürbt war? Würde ich möglicherweise verbittert
     werden, wenn sich nichts änderte? Was wäre dann mit meinem

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