Meineid
es gewesen sein.»
Sie schüttelte den Kopf, nicht zu heftig und nicht zu energisch, nur ruhig und bestimmt.
«Na schön», sagte ich.
«Für dich war er immer ein Unschuldslamm. Und nach allem, was ich heute gehört habe, möchte ich nicht ausschließen, dass er tatsächlich eins ist. Lass uns seine Version einmal durchspielen. Sie hatten Streit. Er ging nach oben und setzte sich den Kopfhörer auf.»
Ich hatte den Kopfhörer wie Greta auf dem Stuhl beim Schreibtisch liegen sehen. Nur wusste ich nicht, wie viel man noch hörte, wenn man ihn aufsetzte. Aber vielleicht hatte auch niemand an der Tür geklingelt. Wenn wir davon ausgingen, dass es um halb vier kein fingierter Anruf gewesen war, dann wusste derjenige, mit dem Tess gesprochen hatte, dass Jan sich im Haus aufhielt. Er musste ihren Streit durchs Telefon gehört haben. Und wenn es Mandys Vater gewesen war, kam ihm das vielleicht gerade recht. Ich spekulierte mit dem Motiv Erpressung. Was könnte Tess Mandys Vater abverlangt haben, dass er sich entschloss, sie sich vom Hals zu schaffen? Wir zählten die wenigen uns bekannten Fakten an den Fingern ab. Jan wollte sich von Tess trennen. Oder sie sich von ihm. Und Tess wollte einen neuen Ehemann. Als sie um halb drei mit mir telefonierte, musste Mandys Vater noch in ihrer unmittelbaren Nähe gewesen sein. Und sie machte ihm mit ihrem Anruf deutlich, welche Pläne sie für die Zukunft hatte. Wahrscheinlich lachte er sie aus und verabschiedete sich. Eine Stunde später rief er sie an, um das ein für alle Mal zu klären. Sie verlieh ihrer Forderung noch einmal Nachdruck … Greta widersprach nicht. Dass Tess besessen war von der Liebe zu ihrem Herrn und Meister, so nennt man das doch in den Kreisen, wusste sie zur Genüge. Der Göttliche hatte damals nicht an Hochzeit gedacht. Und jetzt … Greta hörte schweigend zu, wie ich die Sache sah. Jan kam unerwartet früher heim, während Tess telefonierte. Eine günstige Gelegenheit für den großen Unbekannten. Ein heftiger Streit, gut durchs Telefon zu verstehen. Der Ehemann im Haus, ein Tatverdächtiger wie auf dem Silbertablett. Trotzdem war es für Paps ein großes Risiko, Tess zu Hause aufzusuchen. Dass Jan sich nach dem Streit in seinem Arbeitszimmer verbarrikadierte, konnte niemand wissen. Die Gefahr, überrascht zu werden, war groß. Aber wer unter Druck geriet, nahm einiges in Kauf – unter Umständen sogar einen zweiten Mord. Mandys Vater hatte Glück gehabt, war nicht überrascht worden, hatte sogar die Zeit gefunden, seine Spuren zu beseitigen. Als ich es aussprach, war ich halbwegs überzeugt, dass es so gewesen sein könnte. Und ich zog zum ersten Mal ernsthaft in Betracht, dass Jan unschuldig war. Greta muss sich sehr schäbig gefühlt haben. Aber eher hätte sie sich die Zunge abgebissen, als jetzt über Janine zu sprechen. Ich nahm sie in die Arme.
«Wir schaffen es, Greta. Wenn sie nicht mehr gegen Jan in der Hand haben als das Motiv betrogener Ehemann, dann schaffen wir es.»
Aber sie hatten mehr, sehr viel mehr. Wir wussten es nur noch nicht. * Greta verließ die Kanzlei an dem Montag früher als üblich. Einerseits erleichtert über meine Zweifel an Jans Schuld, andererseits unruhig und verunsichert. Während der Fahrt zu ihrer Wohnung kamen der frühe Morgen und der Vormittag wieder hoch. Jan hatte seine Mutter getötet! Er wollte mit seinem Roman ein Geständnis ablegen, sich die Schuld von der Seele schreiben. So viel war nun sicher. Aber was war tatsächlich mit Barbara McKinney geschehen und was mit Janine? Zuerst einen Kaffee, dachte sie im Aufzug, dann eine lauwarme Dusche. Dabei in Ruhe überlegen, wie sie es formulieren sollte.
«Jan, du hast am Vormittag einen Namen genannt, den ich noch nie von dir gehört hatte. Ich habe ihn auch noch nie gelesen. Aber ich wüsste gerne, wer Janine war und wo sie jetzt ist.»
Und irgendwo in ihr sagte eine Stimme:
«Im Bett verbrannt, du blinde Nuss.»
Sie erwartete, ihn schlafend auf dem Bett zu finden. Stattdessen saß er am Computer, wirkte weder müde noch sonst wie benommen. Wenn sie da an sich dachte, wie es ihr nach nur einer Tablette ergangen war. Er konnte die beiden Tabletten nicht geschluckt haben. Hatte sie wohl nur unter die Zunge gesteckt und ausgespuckt, nachdem sie die Wohnung verlassen hatte. Wenn er das hatte tun können, in seinem scheinbar apathischen, versteinerten Zustand, in derselben Verfassung, in der Karreis ihn am Freitag aus dem Bad geholt hatte … War es nur Show
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