Meineid
Seine Finger glitten spielerisch über ihren Hals.
«Und du hast dich nicht gefragt, was mit meinen Beinen los ist?»
«Nein», sagte sie.
«Ich dachte mir, dass es eine Folge der Misshandlung war.»
Er seufzte:
«Du dachtest dir. Ja, du bist besser als Tess. Du denkst dir eine Menge. Dir zeigt man den kleinen Finger, und du denkst dir einen kompletten Arm. Das konnte Tess nicht. Sie hat nur geraten. Sie ist schnell dahinter gekommen, dass etwas mit mir nicht stimmt. Aber sie war nie völlig sicher. Und ich hab mich gehütet, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie hätte mich damit ebenso gnadenlos an die Wand genagelt wie du.»
«Ich nagle dich doch nicht gnadenlos an die Wand», sagte Greta. Mit der Hand in ihrem Nacken zog er ihren Kopf noch etwas höher, zwei Fingerspitzen drückten gegen ihre Schlagader. Ihr wurde schwindlig.
«Nein?, erkundigte er sich und runzelte erstaunt die Stirn.
«Wie war das denn mit den stinkenden Kerlen im Gefängnis? Weißt du, dass ich dir vertraut habe, Greta? Bis zu dem Moment habe ich dir vertraut, sonst hätte ich dich nicht angerufen. Und du verlangst von mir, ich soll rausgehen und meine Hände nochmal mit ihrem Blut beschmieren. Und dann drohst du mir mit stinkenden Kerlen.»
Der Druck seiner Finger ließ nach, die Kuppen streichelten wieder. Seine Lider begannen zu flattern, er blinzelte mehrfach und bewegte den Kopf leicht, als wolle er Benommenheit abschütteln. Endlich setzte die Wirkung der beiden Tabletten ein. Greta hatte sich schon gewundert, dass es so lange dauerte. Bei ihr war es mit nur einer Tablette viel schneller gegangen. Seine Stimme wurde träge und schleppend.
«Du hast am Freitag gesagt, du wirst mich nicht belügen. Mich nicht, nur die anderen, für mich. Gilt das noch?»
«Ja, murmelte sie. Mehr hätte sie nicht über die Lippen gebracht. Der Griff um ihren Nacken lockerte sich, seine Fingerspitzen auf ihrer Haut verhielten mitten in der Bewegung. Als sie sich aufrichtete, waren seine Augen bereits geschlossen. Aber er schlief noch nicht.
«Versprich mir, dass du im Bett bleibst und keine Dummheiten machst, verlangte sie.
«Versprochen, nuschelte er und drehte den Kopf zur Seite.
«Mir ist im Moment nicht nach Dummheiten, nur nach Schlafen. Ich bin froh, dass ich es dir gesagt habe. Jetzt ist mir wohler. Wir sind ab sofort ganz offen zueinander, ja?»
«Ja», sagte sie. Bei der Schlafzimmertür drehte sie sich noch einmal nach ihm um. Er schien eingeschlafen zu sein. Mit den beiden Tabletten im Blut würde er so schnell nicht wieder aufwachen, dachte sie und verließ die Wohnung. Während der Fahrt zur Kanzlei dachte sie unentwegt: Seine Mutter! Er hat tatsächlich seine Mutter erstochen. Viel weiter konnte sie nicht denken. Sie fragte sich nur, wie ich reagierte, wenn sie mir erklärte, dass ich mit meinen Verdächtigungen in diesem Punkt Tatsachen ausgesprochen hatte. Und wer war Janine? Barbara McKinney war Josy. Janine musste die Ann Jamin aus dem Roman sein. Plötzlich hatte Greta wieder den Brandgeruch in der Nase und Jans Stimme im Hinterkopf.
«Einmal steht man das durch, auch zweimal.»
Ihr war furchtbar übel vor Entsetzen und Angst, fast schon Panik. Dreieinhalb Jahre hatte sie in Jan einen Mann gesehen, der von Frauen gedemütigt und verletzt worden war, der sich nicht wehren konnte, den man einfach lieben und schützen musste. Nun schien es, als habe sie sich niemals vorher so sehr in einem Menschen geirrt.
.
« Das Präsidium hatte uns viel Zeit gekostet. Und ich hatte noch eine Menge vor, wartete schon ungeduldig, als Greta in der Kanzlei eintraf, wollte nur rasch das Wichtigste mit ihr besprechen. Was in ihr vorging, bemerkte ich nicht. Wir brauchten nicht nur den Namen von Mandys Vater. Wir brauchten vor allem ein plausibles Motiv. Sadistische Neigungen reichten nicht für eine Erpressung, wenn Tess freiwillig mitgemacht hatte. Das hatte sie ohne Zweifel. An eine Grenzüberschreitung, wie Karreis es ausgedrückt hatte, glaubte ich nicht. Wenn es für Tess härter als üblich gewesen wäre, hätte ihr kaum der Sinn nach dem Telefongespräch mit mir gestanden. Dass sie ausgerechnet zu dem Zeitpunkt über die Trennung von Jan sprechen wollte, ließ nur einen Schluss zu: Es war verdammt hart gewesen. Und sie hatte es genossen. Im Geist hörte ich sie noch reden. Dass Greta und Jan die Tür des Arbeitszimmers hinter sich abschlossen … Ich glaubte nicht einmal mehr, dass Tess eine Affäre zwischen beiden vermutet hatte. Warum
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