Meineid
Sekunden damit ausdrückte, entzog mir den Boden unter den Füßen. Sie war am Ziel! Es spielte keine Rolle mehr, ob Tess mit ihrem Verdacht richtig gelegen hatte. Wenn ja, dann konnte es sich nur um flüchtige, unbequeme Erlebnisse auf einem Stuhl, dem Schreibtisch oder dem Fußboden gehandelt haben. Und jetzt konnte Greta ihn in ihr Bett legen. Der Professor erklärte Jans Zustand mit stuporiös und bestand erneut darauf, ihn mitzunehmen.
«Das ist völlig ausgeschlossen, rief Greta hinunter.
«Jan muss am Dienstag ein Drehbuch abliefern. Er hat noch nicht einmal mit dem Treatment angefangen. Er kann sich jetzt nicht in eine Klinik legen. Es ist doch auch gar nicht nötig. Es ist nur zu viel für ihn, aber er wird sich wieder beruhigen.»
Es so zu formulieren war lächerlich. Ruhiger als Jan konnte kein Mensch sein. Und Greta konnte nicht ernsthaft annehmen, er sei in den nächsten Tagen imstande, zu arbeiten. Aber ihn in die Psychiatrie schaffen zu lassen war auch nicht in meinem Sinne. Wie er da oben vor ihr kniete, schien er in der richtigen Verfassung. Ich wollte ihm nicht Gelegenheit geben, sich zu erholen. So waren wir drei gegen einen, ein eifersüchtiger Anwalt, eine liebende Frau und ein ehrgeiziger Hauptkommissar gegen den Fachmann für Jans Zustand. Der Professor kapitulierte. Er stieg noch einmal die Treppe hinauf und verabreichte Jan eine Injektion, die diesen in die Lage versetzen sollte, ein paar Fragen zu beantworten. Jan zuckte nicht einmal zusammen, als ihm die Nadel in den Arm gestochen wurde. Er reagierte auf nichts, war völlig steif in Gretas Armen, kniete drei Stufen unter ihr wie ein Stein. Das Zähneknirschen hatte er inzwischen eingestellt. Doch seine Stirn drückte er immer noch gegen ihren Magen, als wollte er sich mit dem Kopf voran in sie hineinbohren. Seine Arme waren derart angespannt, dass sich jeder Muskel überdeutlich abzeichnete. Das Haar klebte ihm an Schläfen und Nacken. An der Stelle, wo seine Haut ihr Kleid berührte, war der Stoff feucht. Der Professor verließ das Haus. Ich setzte mich neben Greta auf die Treppe. Feibert blieb in der Diele stehen und ließ uns nicht aus den Augen. Karreis hielt sich im Wohnzimmer auf, von der Terrassentür aus unterhielt er sich mit dem Gerichtsmediziner und beobachtete die Leute von der Spurensicherung bei der Arbeit.
«Was ist passiert, Greta?»
Sie bot mir exakt die Version, die sie Jan eingehämmert hatte – das Stück von halb vier bis halb elf. Das hätte bedeutet, sie hätten die Wohnung verlassen, kurz bevor ich sie betrat. Das konnte ich ausschließen. Aber ich widersprach ihr nicht. Als sie zum Ende kam, erkundigte ich mich so neutral wie eben möglich:
«Worüber haben sie denn gestritten?»
Greta wollte antworten, als Jans Haltung sich veränderte. Er sank ein wenig in sich zusammen, hob das Gesicht von ihrem Kleid und drehte den Kopf zu mir.
«Tu doch nicht so scheinheilig», sagte er.
«Tess hat dir doch alles erzählt.»
* Im ersten Moment dachte ich, er beriefe sich auf das Telefongespräch von halb drei. Meinen Irrtum erkannte ich erst, als er weitersprach.
«Ich habe gehört, was sie sagte. Und du musst gehört haben, was ich sagte. Also tu nicht, als wärst du taub gewesen.»
Ich schüttelte den Kopf.
«Als Tess mich anrief, war sie allein. Sagte sie jedenfalls, und ich habe nichts gehört, was dagegen sprach.»
Jans Lippen verzogen sich, als wolle er abfällig grinsen. Aber er murmelte nur:
«Du lügst genauso gut wie sie.»
«Wenn du meinst», sagte ich.
«Du kannst meinem Gedächtnis ja auf die Sprünge helfen. Wann hat Tess mit mir telefoniert?»
«Um halb vier, murmelte er.
«Nein, widersprach ich.
«Sie rief mich um Punkt halb drei an. Das Gespräch dauerte etwa fünf Minuten.»
Greta stutzte, Jan runzelte ungläubig die Stirn.
«Und um halb vier?, wollte er wissen.
«Da hat sie doch mit dir gesprochen. Ich habe es gehört, Niklas.»
Ich wusste nicht, was er gehört hatte, mich garantiert nicht. Das schien ihn zu irritieren.
«Aber sie hat …, begann er, schüttelte den Kopf, als könne er es nicht begreifen.
«Sie hat Niklas gesagt. Nicht nur einmal. Viermal, fünfmal hat sie es gesagt: ‹Ich muss dich sehen, Niklas. Du hast versprochen, dass du für mich da bist, wenn ich dich brauche. Und jetzt brauche ich dich, Niklas.› Fast hinter jedem Satz hat sie deinen Namen genannt.»
Sein Kopfschütteln verstärkte sich.
«Ich habe ihr nichts getan. Ich wollte ihr nur
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