Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)
mir so schrecklich leid, daß dies alles nun doch kommt und Du allein (!) in der Ferne entscheiden mußt. Aber du kennst ja Deinen Jungen und wirst es Dir wohl doch schon allmählich überlegt haben. Daß ich über jeden Tag froh wäre, den ich ihn länger noch zuhause hätte, weißt Du – aber wir wollen doch dankbar sein, daß er ganz gesund ist«. Das soll ja auch so bleiben, und wenn Kurt den Krieg für gesundheitsschädlich hält, ist das schließlich nicht verkehrt. Das sagt er natürlich nicht. »Freudig«, nicht wahr, soll der Soldat seine Pflicht erfüllen und dabei Leib und Leben riskieren. Aber muß es der eigene Sohn sein? Kurt kann nicht wissen, daß HG nur wenig in diesem Krieg passieren wird, jedenfalls physisch. Es passiert eine Menge in seiner Seele, und deren Abwehr- und Verdrängungsreflexe haben ihn begleitet für den Rest seines Lebens – haben ihn geformt und verformt. Der »große Junge« war wirklich noch sehr klein, als er hineingeriet in diesen Krieg.
Von HG bekommt Kurt erst eine kurze Notiz »Hurra! Hurra! Felddiensttauglich!!! Dein froher Sohn H.-G.« und am Tag drauf den Brief unter den Stahlstich-Initialen H. G. K.: »Lieber Vater! Nun habe ich es also endlich erreicht, das Ziel der Militärtauglichkeit. Ich denke, Du freust Dich nicht weniger als ich und Mutter. Ich habe aber auch auf diesen Lohn hin gearbeitet, habe meinem Körper viel zugemutet seit Monaten und gesehen, daß ich alles, alles aushalte. Und daß nun nicht nur ich es weiß, sondern daß es auch ärztlich anerkannt ist, daß mein Körper nach allen Seiten hin leistungsfähig ist, das war mir eine so große Freude!«
»Nun hast Du doch auch nichts mehr dagegen, kannst ja nichts mehr dagegen haben, lieber Vater, daß ich jetzt Soldat werde. Ich hoffe, Deine Bedenken darüber, daß ich durch ein längeres Offiziersein zum Kaufmann verdorben würde, beseitigt zu haben. Ich bin mir bewußt, daß ich durch mein jetziges Eintreten ein Kriegsopfer an kostbarer Zeit bringe, und nicht nur ich bringe es, sondern leider trifft es auch Dich mindestens ebenso sehr. Denn vielleicht wird dadurch der Zeitpunkt etwas hinausgeschoben, wo ich Dir in der Firma an die Seite treten kann. Ich denke aber, dieses Opfer an Zeit muß man doch ebenso freudig tragen, wie andere viel schwerere Opfer auf sich nehmen.«
Sieh mal an: Das Milchgesicht tritt gegen den Vater an mit dessen Waffen. Hat Kurt nicht Schwulst über Schwulst in seinem Kriegstagebuch abgelassen darüber, wie wichtig es sei, Vaterlandsliebe und Deutschtum in alle Lande zu tragen, hat er nicht Frau Gertrud gepriesen als deutsche Mutter deutscher Kinder und die Opferbereitschaft aller als höchste Tugend dargestellt? HG hat die ersten Teile dieses Kriegstagebuches gelesen, denn er hat die Fotos eingeklebt. Und jetzt hat Kurt offenbar den Sohn mit seinen und der Firma Bedürfnissen auf Halberstädter Belange herunterzuschrauben versucht. Das macht man nicht ungestraft mit einem Jungen, der »drei Hurras auf Kaiser und Vaterland« mit der Muttermilch einsaugen mußte.
Leutnant Hans-Georg Klamroth
D REI
E S STARTET EINE FLÄCHENDECKENDE S UCHE nach Reiter-Regimentern in ganz Deutschland. Die 16. Dragoner Allenstein werden angeschrieben und die Husaren in Leobschütz, die 12. Jäger zu Pferde in St. Avold und die Insterburger Ulanen. Die Züllichauer Ulanen sagen gleich ab, auch die Kavalleriebrigade in Saarbrücken hat keinen Platz. Das gleiche gilt für die Riesenberger Kürassiere. Gertrud hat das minutiös vorbereitet. Jeder ehemalige Tennispartner, jeder Schwager eines Onkels einer früheren Freundin aus der Haushaltsschule, jeder, der jemanden kennt, der Pferde kommandiert, wird eingespannt. Gertrud und HG dibbern. Gertrud, weil sie den Sohn prestigeträchtig unterbringen will, wogegen auch HG nichts hat. Aber dringlicher ist ihm, gleich nach den Ferien sein Notabitur ablegen zu können, weil dann – so HG an den Vater Kurt – »drei Eingezogene aus meiner Klasse Examen machen müssen, denen könnte ich mich anschließen und wäre bei dem neuen Direktor nicht so allein im Examen«.
Und das klappt. Zwei Tage nach Ende der Sommerferien 1916 kommt die erlösende Nachricht, daß HG als Fahnenjunker angenommen ist beim Dragoner-Regiment Prinz Albrecht von Preußen (Litthauisches) Nr. 1 in Königsberg – »ein gutes Regiment«, sagt Kurt. Mittels Depesche erteilt er sein Einverständnis, und am nächsten Morgen schreibt HG seinen Abitur-Aufsatz zu dem Thema: »Steh zu
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