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Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition)

Titel: Meines Vaters Land: Geschichte einer deutschen Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wibke Bruhns
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Gesellschaftsschicht – sprich: Wir machen es genauso wie der Adel. Und daß die Klamroths ihren Verein aus der Taufe hoben in einer Zeit, als »die alte Ordnung« um sie herum zerbrochen war, deute ich als das Bedürfnis, die Ordnung wenigstens in der Familie zu bewahren. Wenn der lange vorbereitete Festakt dieser Großgrundbürger nun ausgerechnet mit dem Kapp-Putsch zusammenfiel, darf ich das nicht überbewerten – es war wirklich Zufall. Die Gründer-Großeltern hatten vermutlich keine Ahnung, was draußen passierte – es herrschte Generalstreik: keine Zeitungen, keine Post, kein Telefon. Wir haben schließlich unsere Zahnarzt- und Friseurtermine auch nicht abgesagt, obwohl wir wußten, daß Lübeck und Hoyerswerda brannten. Kurt jedenfalls hat ein paar Tage später getobt über »dieses Verbrechen und die unglaubliche Dummheit dieser rechts stehenden Fanatiker und Generalstäbler«.
    Familie also. Ahnenforschung war Mode, und Kurt hat sich lange vor dem Krieg schon damit beschäftigt. 1908 erschien seine erste umfangreiche Familienchronik – eine wunderbare Quelle für mich! Das Familienarchiv ist sein Werk, und seine Korrespondenz mit genealogischen Gesellschaften füllt mehrere Ordner. Wo nahm er bloß die Zeit her!? Da wurden Kirchenbücher durchgeflöht, Grundbücher eingesehen, Zinspflichten und Lehensrollen kopiert. Es gibt einen lateinischen Briefwechsel zwischen Kurt und einem Probst in Polen über irgendeinen Altvorderen von Vater Gustavs Frau – so was konnte Kurt. Mir fällt es schwer, diesen Ahnenfimmel wertfrei zu sehen, weil wir doch wissen, wohin das geführt hat, und weil ich weiß, daß die »makellos arischen« Stammbäume aller Klamroths nicht mal 20 Jahre später den Zuchtwert dieser Familie darstellten.
    Noch war das kein Thema. 1920 waren für die Klamroths selbst Süddeutsche extravagant und Verbindungen mit Juden, Schwarzen, Arabern – wem auch immer – ohnehin völlig außerhalb des Gesichtkreises dieser Harzvorland-Sippe. Die Juden in Halberstadt waren orthodox und lebten ihr Leben. Den Nicht-Juden in Halberstadt fiel der Versuch einer Kumpanei nicht ein – die Welt war in Ordnung. Es ging den Familianten wohl eher um den Beleg ihres gesellschaftlichen Ranges, um wappen-geschmückte Zugehörigkeit in einem exklusiven Zirkel. Kurt, der Archivar, war unermüdlich. Seine akribisch geführten Folianten, 12 an der Zahl und pompös beschriftet, tauchten nach dem Mauerfall auf dem Dachboden der Liebfrauenkirche in Halberstadt wieder auf, von wo ich sie dankbar abgeschleppt habe.
    Kurt sammelte Vorfahren wie Leute heute die Figuren aus Überraschungs-Eiern, und seine Bestrebungen, Sippenlinien zurückzuverfolgen bis zu Goethe oder Lucas Cranach, machen mir immer wieder Spaß. Zumal wohl jeder von uns irgendwie von Heinrich dem Löwen oder Störtebeker abstammt, wenn er sich die Mühe macht. Kurt machte sich die Mühe, nachzulesen in den »Blättern für den Klamroth’schen Familienverband«, wo er unter anderen Karl den Großen stammbaummäßig den Klamroths einverleibt.
    Auf den Familientagen singen die Mitglieder dann – es sind erst mal um die 60, und die Kriterien sind streng. Da kann nicht irgendeine hergelaufene Kusine vierten Grades sich dazwischenmogeln. Nicht doch! Aber die, die dürfen, singen: »Tante Nettchen, welche Ehr – jumheidi, jumheida – stammt von Karl dem Großen her – jumheidiheida. Ihre Söhne, will mir scheinen, stammen von Pippin dem Kleinen – jumheidi, jumheida, jumheidifiderallala« und so weiter. Da sind Melodien, die jeder kennt, und es gibt kleine schwarze Wachstuchhefte, da sind die Texte eingeklemmt – »Gesangbuch des Klamroth’schen Familienverbandes« – und dann geht das los: »Drum ihr Alten und ihr Jungen, stimmet alle kräftig ein, denn bei Klamroths wird gesungen, anders kann’s ja gar nicht sein!«
    Wohl wahr. Vielstimmig, immer! Im Haus gibt es den Flügel, das Harmonium, das Klavier. Es gibt Kurt junior, der den Eingangschoral für den Familientag komponiert hat: »Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt«. Außerdem spielt er Geige, und wie! Da sind Lauten, Schifferklaviere, Flöten, und jeder singt. Ständig. Aus jedem arglosen Satz wird ein Kanon. Auch die Zugereisten bewegen sich mit Tonfolgen treppauf, treppab. Nur Kurt d. Ä. nicht. Der singt nicht, der spielt kein Instrument, der reimt nicht. Dafür die anderen: »Einträchtigkeit und Liebe zur Familie, das ist der Stolz der deutschen Nation. Die Zwietracht

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