Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
erstehen ließ und Nationen verängstigte, der Geist, den Gregorn uns zur Wiedergeburt überlassen hat, ihm niemals entkommen kann.«
Renaud sah mit einem grausamen Lächeln zu Miranda. »Und das, Spiritistin, ist die wahre Macht des menschlichen Geistes. Du mit deinen Ringen und deinen selbstauferlegten Beschränkungen wirst sie niemals voll ausschöpfen.«
Miranda zitterte vor Wut, aber bevor sie etwas sagen konnte, trat Eli einen Schritt vor.
»Wenn du von alldem so beeindruckt bist«, meinte er fast beiläufig, »warum bist du dann überhaupt hier? Wenn alles in Mellinor Gregorn dient, was tust du da mit diesem Pfeiler, außer die Arbeit eines viel mächtigeren Magiers zu untergraben?«
»Ich nehme mir, was mir zusteht«, zischte Renaud. »Ich bin Gregorns Erbe, der erste Magier in der Familie Allaze seit Gregorn selbst.« Er schob seine Hände tiefer in den Pfeiler, der zitterte und weiter von seinem Fleisch fraß. »Es ist Zeit für einen neuen Magierkönig in Mellinor. Zeit für mich, endlich zu empfangen, was mein Vorfahre all diese Jahre für mich aufbewahrt hat. Zusammen werden wir beenden, was Gregorn begonnen hat. Wir werden die Welt unterwerfen und zertreten, bis jeder Geist meinen Befehlen gehorcht und jeder Magier von meiner Gnade abhängig ist.«
»Mach dir nichts vor!«, schrie Miranda, und ihre Stimme zitterte vor Wut. »Gregorn hat nichts für dich bewahrt. Ein Mann, der bereit war, auf die Wiedergeburt zu verzichten und die Ewigkeit in einer Salzsäule zu verbringen, nur um weiterhin einen Geist im Schwitzkasten zu halten, bewahrt nichts für seine Nachkommen. Selbst wenn dieser Pfeiler dich auffrisst, wird Gregorn dir diesen Geist niemals überlassen!«
»Zu jeder anderen Zeit könntest du recht haben, Spiritistin«, sagte Renaud. »Aber du verstehst einfach nicht, dass er inzwischen keine andere Wahl mehr hat.« Der Versklaver sah auf die Stelle, an der seine Arme in dem Pfeiler verschwanden, und sein hochmütiges Lächeln verwandelte sich in ein wahnsinniges Grinsen. »Nach vierhundert Jahren hat seine Seele so viel von ihrer Menschlichkeit verloren, dass er kaum besser ist als das Salz, in dem er gefangen ist.«
Noch während er sprach, fing die schwarze Oberfläche des Pfeilers an zu schäumen und zu zischen. Renaud lachte und schob seine Arme noch tiefer hinein. Dann öffnete er mit einem markerschütternden Stoß seinen Geist, und Miranda keuchte auf, als das schwarze, ekelhafte Gewicht seines triumphierenden Willens über sie hinwegrollte.
Der Pfeiler stöhnte, als Renauds Geist auf ihn eindrang. Er richtete ihn auf die schwarze Wunde, in der seine Arme steckten, und zwang das Loch, sich zu vergrößern. Der schwarze Schleim auf der Oberfläche des Pfeilers kochte und fauchte, als Renaud sich in ihn zwang und seinen Willen wie ein Stemmeisen einsetzte. Je fester er drückte, desto schneller breitete sich die dunkle Verfärbung aus und fraß sich in die Oberfläche des Pfeilers, wie die Fäulnis einer infizierten Wunde ein Bein verschlingt. Mit einem letzten, triumphierenden Stoß versanken Renauds Arme gänzlich in dem saugenden Schlund. Als Nächstes folgte sein Kopf, dann seine Brust und die Beine, bis er schließlich vollkommen verschwunden war. Der Druck seines geöffneten Geistes pulsierte immer noch durch den Raum, aber der Mann war verschwunden, aufgefressen von dem Pfeiler, der jetzt vollständig mit der glatten schwarzen Fäulnis überzogen war.
In dem Moment, als das letzte Stück seiner Ferse im Pfeiler verschwand, stieg ein heulender Schrei auf. Miranda schlug sich die Hände über die Ohren, aber es half nichts. Der Geisterschrei drang direkt in die Tiefen ihrer Seele. Er war schlimmer als das Jammern des Sandsturms, denn das waren viele verbundene kleine Stimmen gewesen. Dieser Schrei war ein einziges, schmerzerfülltes Heulen, das ihr durch und durch ging und die Tränen in die Augen trieb. Aber das Schlimmste, schlimmer als alles andere, war, dass dahinter der Anklang einer menschlichen Stimme widerhallte.
Schwarzer Schleim löste sich von der Oberfläche des Pfeilers, ergoss sich aus dem Loch, das Renaud hinterlassen hatte, und tropfte auf den Boden. Er verätzte den Marmor und zischte laut, als er die Stufen des Podiums hinunterfloss. Sein Geruch sorgte dafür, dass Miranda sich fast übergab. Die Flüssigkeit stank nach verdorbenem Fleisch, wie ein Abwasserkanal an einem heißen Tag. Der grauenhafte Gestank füllte den Raum, bis Miranda fast fühlen konnte, wie
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