Meister Li und der Stein des Himmels
Zimmer, manche
fertiggestellt, andere nicht. Und sie waren für jeden erdenklichen Zweck und
jedes erdenkliche Vergnügen gedacht. Der Lachende Prinz hatte beschlossen,
seine Welt mit ins Grab zu nehmen. Ich erwartete sogar, ein Polofeld zu sehen,
bis mir einfiel, daß man zu seiner Zeit zwar die wundervollen Pferde aus Indien
eingeführt hatte (die mit dem verrückten griechischen Eroberer dorthin gekommen
waren), aber das Polospiel noch nicht.
Die roten Quasten wiesen
uns weiterhin den Weg. Dem Prinzen konnten nicht mehr viele Quasten geblieben
sein, und ich begann, nach Blutstropfen zu suchen. Mondkind sagte flüsternd, er
höre Wasser. Kurz darauf betraten wir eine wunderschöne Grotte. Soweit wir im
Fackellicht sehen konnten, war der Stein blau, grün und wunderschön. Inmitten
des Marmorbodens befand sich ein Teich, in den von einem Felsvorsprung in
beinahe vierzig Fuß Höhe ein dünner Wasserstrahl rieselte. Marmorstufen führten
zu Felsvorsprüngen, und ich hatte die verrückte Vorstellung von Skeletten und
Mumien, die hinaufkletterten, um von dort ins Wasser zu springen.
Mondkind hob die Hand. »Da
bewegt sich etwas«, flüsterte er, »es kommt näher... dort oben !« Er wies auf eine der Plattformen über dem Teich. Dann
erstarrten wir alle zu Statuen, denn eine hohe krächzende Stimme kreischte:
»Meister, o Meister, das
Wild ist endlich in deiner Näh! Ein alter Hirsch, zwei junge Böcke und ein
schönes, junges Reh!«
Das Echo sprang zwischen
den Felswänden hin und her und hallte in den endlosen Gängen. Etwas bewegte
sich. Auf der Plattform tauchte eine kleine anmutige Gestalt in einem
Narrengewand auf und blickte zu uns herunter. Ich hielt den Atem an, als ich
sah, daß das Gesichtstuch gerade weit genug zurückgeschlagen war, um die Stirn
über den dunklen Schatten zu enthüllen. Das Haar leuchtete wie Feuer. Ich hörte
ein klares, trällerndes Lachen und dann die reine liebliche Stimme eines
Mädchens.
»Ich hoffe, ich habe
niemanden erschreckt. Wer seid ihr ?« Meister Lis Augen
waren so schmale Schlitze, daß ich mich fragte, wie er überhaupt etwas sah.
Seine kühle Stimme klang sarkastisch.
»Durchreisende«, antwortete
er, »wer bist du ?« Das Mädchen zupfte verschämt an
seinem Gewand. »Mein Freund nennt mich Feuermädchen«, sagte sie, »habt ihr ihn
gesehen ?«
»Schon möglich«, sagte
Meister Li. »Ist dein Freund der fröhliche Bursche, der mit Mönchen in
Gewändern herumhüpft, wie du eins trägst ?«
»Ja. Er ist mein Freund,
bis mein richtiger Freund kommt. Aber den habe ich schon lange, lange nicht
mehr gesehen .« In ihrer klaren Stimme lag Verwirrung.
»Er hat versprochen zurückzukommen, das weiß ich, aber ich kann mich nicht mehr
erinnern, wann .«
Meister Li griff mit einem
Seufzer nach dem Weinschlauch. »Er heißt doch bestimmt Wolf, nicht wahr ?« »Ja !« rief das Mädchen erfreut.
»Habt Ihr ihn gesehen? Ich warte und warte, und ich weiß, wir haben etwas Wichtiges
zu tun, aber mein Kopf ist nicht ganz klar, und ich kann mich nicht daran
erinnern, was es ist .«
Sie besaß die schönste
junge Stimme, die ich je gehört hatte, aber es lag ein eigenartiger Mißklang
darin. Etwas war gestört, und die Störung kam nicht von den Stimmbändern,
sondern vom Kopf.
Meister Li trank einen
Schluck, aber diesmal schien ihm der Wein nicht zu schmecken. »Wir haben auch
einen Freund«, sagte er. »Er hat merkwürdige Haare, die nach allen Seiten
abstehen, und Tuschflecken auf der Nase. Vielleicht ist er mit deinem anderen
Freund gegangen, der mit den Mönchen hüpft .«
»Ja, ich habe ihn gesehen .« Sie deutete unbestimmt rückwärts. »Dort hinten ... ist er
krank? Sie haben ihn nämlich getragen .«
»Dann gehen wir besser zu
ihm und bringen ihm Medizin«, sagte Meister Li vernünftig. »Nennen die Mönche
deinen Freund den Herrn des Lachens ?«
»Ja, aber es gefällt mir
nicht, wenn er lacht«, sagte sie ernst. »Außerdem riecht er schlecht. Aber als
ich aufwachte, war ich ganz allein. Und ich war so lange allein, daß ich froh
war, als ich ihn gefunden hatte .«
»Das war, nachdem du
gelernt hattest, die Türen zu öffnen und in die Grabkammer zu gehen«, sagte
Meister Li sachlich. »War er schon aus dem Sarg, als du ihn gefunden hast ?« Sie zupfte nervös an ihrem Gewand und schwieg lange.
»Ja«, flüsterte sie schließlich. »Aber er war nicht richtig wach, und ich
brauchte sehr lange, bis ich gelernt hatte, ihn zu wek-ken .«
»Mit dem Stein aus
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