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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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an ihm gesehen
und der Blick des Mannes wurde starr. Mondkind lächelte. Dem Mann quollen die
Augen aus dem Kopf, und auf seiner Stirn erschienen Schweißtropfen. Mondkind
gurrte leise. Die dünnen Knie unter dem Pult hoben sich ruckhaft. Mondkind
gurrte weiter. Die dünnen Hände verkrampften sich, und die dünnen Füße
scharrten auf dem Boden. Es gelang dem Armen, etwas zu sagen, und Mondkind, der
die Hand auf dem Rücken hielt, wies mit dem Finger auf eine der Seitentüren.
Meister Li und ich gingen unauffällig hinüber. Mondkind gestikulierte und
berührte dabei zufällig die Hand des Mannes. Er sprang auf, taumelte zitternd
zur Tür, klopfte ehrerbietig und öffnete sie. Wir waren hindurch, ehe der
Vorsteher wußte, wie ihm geschah, und Mondkind tätschelte ihm zur Belohnung die
Wange, ehe er ihm die Tür vor der Nase zuschlug. Ich erwartete ein weiteres
Heer Schreiber. Aber der Regi-strator Vergangener Existenzen war allein und verschwand beinahe zwischen seinen Büchern. Das Gesicht, das
sich uns entgegenhob, erinnerte mich an Gemälde von Heng-chiang, dem General
Schnüffel. Seine Augenbrauen waren senkrecht, seine Augen quollen ihm wie
Froschaugen aus dem Kopf, und er rümpfte die Nase, als rieche er ständig etwas
Unangenehmes. Meister Li verneigte sich wie vor einem Gleichgestellten, und
Mondkinds Verneigung war eine vollkommene Mischung aus Höflichkeit und
Herablassung.
    »Ja ?« sagte der Registrator.
    »Herr Li von Kao, Gesandter
des Himmelssohnes. Der Himmelssohn ist wütend«, fügte Meister Li hinzu. »Ja ?« sagte der Registrator.
    »Ein so unziemliches
Eindringen wäre unerträglich, wenn es nicht um ernste Dinge ginge. Und was
könnte ernster sein, als es zu unterlassen, den Trank des Vergessens richtig
zuzuteilen«, sagte Meister Li ernst. »Ja ?« sagte der
Registrator.
    Meister Li fuhr herum und
funkelte mich an. »Seht Euch diesen einfältigen, verlausten Vertreter der
unteren Klassen an !« rief er wütend.
    »Von Rechts wegen sollte
sein Wissen auf Felder, Fressen und Furzen beschränkt sein, und trotzdem
behauptet er, sich an jede Einzelheit eines früheren Lebens zu erinnern, in dem
er der Ur-Urgroßvater von diesem Juwel des derzeitigen Hofs war!«
    Auf das Stichwort verneigte
sich Mondkind anmutig. »Damit nicht genug, beharrt dieser schwachsinnige
Trottel, der sich ständig zwischen den Beinen kratzt, Lehrer der Prinzen der
Sui-Dynastie gewesen zu sein«, schrie Meister Li. »Er erzählt Geschichten über
die Ausschweifungen von Kaiser Yang, bei denen Euch die Haare zu Berge stehen
würden, wenn Ihr welche hättet. Jedesmal, wenn er sein dummes Maul aufreißt, unterstreicht er seine Behauptung, Herr Tsing gewesen zu sein !«
    (Das war mein Stichwort.
Tsing hieß der liebe alte stellvertretende Abt des Klosters in der Nähe meines
Dorfes, der die Dorfjungen nach der Feldarbeit unterrichtete. Er war ein
netter, freundlicher Mann, der an chronischer Pedanterie litt. Ich unterhielt
Meister Li öfter damit, daß ich ihn imitierte.) »Nun los, du Trottel !« begann ich, kratzte mich zwischen den Beinen und trat
einen Schritt vor. Meister Li sah sich um und deutete auf eine reich verzierte
Bronzeschale. »Welches Schmuckmotiv ist das ?« fuhr er
mich an. Ich versuchte es mit einem starren leeren Blick, und meine Kiefer
quietschten wie ungeölte Scharniere, als sie sich unerbittlich öffneten.
    »T'sao-t'ieh oder die Vielfraßmaske. Sie
ist ein charakteristisches Motiv der Shang-Dynastie und der frühen
Shou-Dyna-stie«, leierte ich monoton herunter, »es ist ein frontal gesehenes
Tiergesicht, manchmal erkennbar und manchmal ein stilisiertes Fabelwesen. Auf
Seitenflächen ist es flach, oder es zieht sich um eine Ecke. In beiden Fällen
teilt ein erhabener Rand die symmetrischen Hälften, die je einen hervortretenden
Augapfel haben. Jede Gesichtshälfte geht in einen Körper über - manchmal in den
richtigen Proportionen, manchmal auch nicht und völlig symmetrisch zu seinem
Gegenstück -, als sei der Tierkörper am Rückgrat durchtrennt worden, und man
habe die beiden Hälften wie Flügel auseinandergeklappt und mit dem Kopf
verbunden. Die Körper haben Ähnlichkeit mit Schlangen und Drachen. Sie winden
sich in Spiralen oder geometrischen Drehungen und Wendungen. Sie sind
ihrerseits von Spiralen oder geometrischen Motiven bedeckt - unter anderem
manchmal von kleineren t'sao-t'ieh. Die gleiche Vielfraßmaske taucht
üblicherweise wiederholt auf einem Gefäß auf. Sie ist ein

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