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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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wir nicht
hinaus«, sagte Meister Li und verneigte sich ehrerbietig bei der Nennung dieses
Namens. Er hielt eine Hand auf dem Rücken und preßte die Finger in die
Handfläche. »Wir ersuchen Euch, das Guthaben auf dem Konto...«
    Mondkind und ich starrten
uns an. Auf wessen Konto konnte soviel Tugend gehen?
    »... einer einfachen
Sängerin und Prostituierten namens Klagende Morgendämmerung zu überprüfen«,
sagte Meister Li ganz ruhig.
    Wir unterdrückten einen
erstaunten Aufschrei. Der Schatzmeister griff nach Büchern, fuhr mit dem Finger
die Reihen von Namen und Zahlen entlang, und als der Finger plötzlich anhielt,
glaubte ich, ihn habe der Schlag getroffen. »Könnt Ihr nachweisen, daß Ihr
berechtigt seid, von diesem Konto abzuheben ?« fragte
er mit erstickter Stimme. Meister Li nahm Mondkinds Stirnband mit dem Phönix
und dem Drachen, die sich umeinander wanden, und schob es über den Tisch. Der
Finger des Schatzkämmerers fuhr über die zarten Linien der Inschrift, und er
fragte kläglich und weinerlich: »Warum habt Ihr nicht gleich gesagt, daß es
sich um ein Gemeinschaftskonto handelt? Natürlich könnt Ihr Geld haben, soviel
Ihr wollt! Unterschreibt hier und hier und hier .«
    Mondkind unterschrieb da
und da und da, und es dauerte kaum länger, als ich brauche, um es zu schreiben,
bis ich einen Wagen mit neununddreißig Truhen Silber und Gold hinter mir
herzog. Meister Li und Mondkind saßen auf den Truhen, und der Standessschirm
prangte majestätisch über ihnen. Der Schatzmeister führte uns zu einer
Seitentür und preßte ein parfümiertes Taschentuch an die Nase. »Schnell! Raus
mit euch ...«, zischte er. Die Tür öffnete sich, ich zog den Wagen hindurch,
und der Schatzkämmerer schlug die Tür hinter uns zu. Wir befanden uns in der
Neunten Hölle, und ich hoffe, mir ist eine kurze Erklärung erlaubt.
    Die Neunte Hölle ist das
Entzücken der Theologen und die Verzweiflung aller Seelen. Praktisch gesehen
ist sie für wang-ssu-ch'eng bestimmt, das heißt, für alle, die tödlich
verunglückt sind, aber auch für Selbstmörder und Menschen, die ohne die
richtigen Gebete und Rituale gestorben sind, und alle, die vor dem Zeitpunkt
gestorben sind, der im Register von Leben und Tod festgesetzt ist - wie die
Kröte und seine »geeh-geeh-geeh!«-Freunde. In der Neunten Hölle gibt es keine
Folterqualen, und das ist die schlimmste Folter. Ohne Strafe kann es keine
Reue, Reinigung und Wiedergeburt geben, und die armen verlorenen Seelen in der
Neunten Hölle sind bis in alle Ewigkeit dort gefangen. Man glaube nicht, es
seien Verbrechen im Spiel. Bei vielen der Verdammten handelt es sich um
unschuldige Kinder. Nach drei Jahren erlaubt man den verlorenen Seelen, hin und
wieder als Geist auf die Erde zurückzukehren (aus diesem Grund wird das Fest
der hungrigen Geister gefeiert), und theoretisch hat ein Geist die Möglichkeit,
erlöst zu werden, wenn er jemanden findet, der seinen Platz einnimmt. Deshalb
ist es so gefährlich, sich an einem Ort aufzuhalten, wo ein Kind ertrunken ist
oder ein Mann sich erhängt hat. Der Geist wird versuchen, einen zu packen und
in die Neunte Hölle zu schleppen, denn nur so kann er sich einen Platz auf dem
Großen Rad der Wandlungen erobern. Praktisch sind die Chancen, das Rad zu
erreichen, allerdings gleich Null.
    Die
einhundertfünfunddreißig Höllen zweiter Ordnung und bis auf eine auch alle
erster Ordnung dienen der Gerechtigkeit. Nur die Neunte Hölle ist ungerecht,
und niemand außer Theologen kann sie lieben. Wie soll ich je ein kleines
Mädchen vergessen, das weinend am Straßenrand saß und in alle Ewigkeit verdammt
ist, weil es ausgerutscht und in einen Fluß gefallen war? Ich glaube allen
Ernstes, Priester könnten dem Atheismus den Todesstoß versetzen, indem sie die
Neunte Hölle zerstörten, und man sollte dem Himmel sofort entsprechende
Bittschriften überreichen. Als wir hinaustraten, überfiel uns der Gestank ungewaschener
Körper. Bestechlichkeit ist in der Neunten Hölle gang und gäbe, denn dort
verkaufen die niedrigsten Dämonen Speise und Trank zu abenteuerlichen Preisen.
Das Heer der Verlorenen drängte sich um uns und verlangte kreischend
    Münzen. Man hätte uns erdrückt,
wenn Meister Li und Mondkind nicht mit vollen Händen Gold und Silber aus den
Truhen in die Menge geworfen hätten. Die armen Seelen kämpften wie Tiere darum,
und die Schwachen und Jungen hatten natürlich keine Chance.
    Jede Truhe war so
berechnet, daß sie uns auf der weiten

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