Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
grauen Ebene eine bestimmte Strecke weit
brachte. Meister Li und Mondkind warfen mit Gold und Silber um sich, bis ihnen
die Arme abzufallen drohten. Dadurch wurde der Wagen leichter, und ich konnte
schneller ziehen. Vor uns, auf dem Gipfel eines Hügels, ragte die graue Mauer
der Zehnten Hölle auf. Schnaufend und keuchend zerrte ich den Wagen die steile
Anhöhe hinauf. Das heulende Gesindel fiel allmählich zurück. Ein besonders
hartnäckiger Trupp gab nicht auf, aber Mondkind hatte noch eine letzte Truhe.
Er kippte sie aus, und ein Silberschauer ging auf den Abhang nieder. Endlich
waren wir die Meute los und konnten uns Gedanken darüber machen, wie wir das
Große Rad erreichen sollten. Ein Heer von Dämonen bewacht die Mauern der Zehnten
Hölle. Meister Li verlor keine Zeit. Er riß die Bespannung des Schirms ab und
wand daraus eine ansehnliche rituelle Girlande. Der Griff konnte als Stab
durchgehen. Unter Mondkinds Juwelen befand sich eine Perle, die man für die
heilige Perle halten konnte. Mondkind und ich eigneten uns gut dafür, die
Gefährten von Reichtum und Armut zu verkörpern, und Meister Lis ehrwürdige
Falten waren bereits Passierschein genug. Er näherte sich der Mauer, erteilte
links und rechts seinen Segen, und sofort erhob sich der Ruf: »Ti-tsang
Wang-p'u-sa! Der Gott der Barmherzigkeit ist zu seiner jährlichen Besichtigung
eingetroffen !«
    Die Mauer war kein großes
Hindernis. Sie bot Füßen und Händen genügend Halt. Meister Li sprang auf meinen
Rük-ken, und Mondkind hielt sich an meinem Gürtel fest. Ich war schon halb
oben, ehe die Soldaten sich wunderten, daß der Gott der Bamherzigkeit die Mauer
nicht einfach überflog, und sie schlugen erst Alarm, als ich beinahe oben
angekommen war. Die Pfeile flogen harmlos über unsere Köpfe hinweg, während ich
auf der anderen Seite hinunterkletterte. Trotzdem wäre ich beinahe gestürzt,
denn ich war auf den Anblick des Großen Rades der Wandlungen nicht vorbereitet.
    Man kann seine ungeheure
Größe einfach nicht beschreiben. Aus irgendeinem Grund bewegen sich die unteren
Speichen langsam, während die höheren mit atemberaubender Geschwindigkeit
aufsteigen. Das Rad drehte sich nach oben, nach oben, nach oben, nach oben und
war trotzdem nur zur Hälfte sichtbar. Es verschwand in grauen Wolken, und mir
wurde klar, daß es die Erdoberfläche erreichen und sich dann weiterdrehen
mußte, bis es neugeborene Yaks auf den höchsten Bergen Tibets absetzen konnte.
    Die Toten schoben sich in
endlosen Schlangen zu einer einfachen Hütte. Dort bereitete Dame Meng den Trank
des Vergessens. Nachdem sie getrunken hatten, trieb man sie in die Schlange
zurück, und ihre Köpfe waren so leer wie die Augen der Politiker. Dämonen
warfen ihnen das Zubehör für ihr nächstes Leben über den Kopf: Felle, Federn
und so weiter. Es dauerte einige Zeit, bis die Soldaten auf dieser Seite der
Mauer von unserer Anwesenheit wußten. Aber inzwischen hatten wir uns Schaffelle
über den Kopf geworfen und uns in die Schlange eingereiht. Meister Li hatte sie
den Dämonen so geschickt entwendet, daß sie nichts bemerkten, und die Soldaten
liefen an uns vorbei.
    Wir kamen dicht an das
Große Rad heran. Die Toten stiegen in die schaukelnden Gondeln. »Ochse, wenn
wir erst in einer Gondel sind, kommen wir nie wieder heraus«, flüsterte Meister
Li. Ich nickte. Er machte sich bereit, mir auf den Rücken zu springen, und
Mondkind, sich an meinem Gürtel festzuhalten.
    »Jetzt«, flüsterte ich.

Meister Li hüpfte, Mondkind
hielt sich fest, ich sprang und klammerte mich an eine Speiche. Es gelang mir
gerade, mit den Füßen Halt am äußeren Rand zu finden, als die Soldaten uns
entdeckten. Das Wutgeschrei der Dämonen erfüllte die Luft, Pfeile und Speere
schwirrten uns um die Ohren, aber wir stiegen mit großer Geschwindigkeit höher
und höher. Ein Pfeil hätte um Haaresbreite Mondkinds Nase getroffen, und ein
Speer streifte meinen Arm. Dann konnten uns die Geschosse nicht mehr erreichen,
und schon verschwanden wir in den Wolken. Wir stiegen mit so unglaublicher
Geschwindigkeit auf, daß mir die Augen tränten, und Meister Li begann, fürchterlich
zu fluchen.
    Wir hatten die Dämonen
hinter uns gelassen, aber wir waren verloren, wenn es uns nicht gelang zu
sehen, wo wir abspringen mußten, und die Wolken verhüllten alles. Es vergingen
Minuten, während wir in die Unendlichkeit hinausgewirbelt wurden, aber die
Wolken umgaben uns immer noch. Dann entdeckte ich Lichtpunkte, die wie

Weitere Kostenlose Bücher