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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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wenn man nur tief genug gräbt .« Er streifte stachlige kleine Samenkapseln von den Zweigen. »Mit Stechäpfeln
sollte man nicht spielen, wenn man nicht genau weiß, was man macht«, sagte er.
»Sie gehören wie die Alraune, das Bilsenkraut und Belladonna zur Familie der
Nachtschattengewächse, und im wesentlichen sind sie
giftig. Vom Bombay-Stechapfel stammt das legendäre indische Mittel dhatura, das je nach Dosierung betäuben, lähmen oder töten kann. Man kann daraus jedoch
auch ein Medikament gewinnen, das mit erstaunlichem Erfolg innere Blutungen und
Fieber bekämpft. Mit etwas Glück ist Klagende Morgendämmerung im Handumdrehen
wieder auf den Beinen .«
    Wir kehrten schnell und
ohne besondere Zwischenfälle zum Tal der Seufzer zurück. Mondkind und ich
näherten uns dem Schloß mit wachsendem Unbehagen, und uns wurde vor
Erleichterung ganz schwach, als der Staubwedelkopf von Prinz Liu Pao an einem
Fenster seines Ateliers auftauchte und uns fröhlich willkommen hieß.
    »Hurra! Klagende
Morgendämmerung ist so gut wie geheilt«, rief der Prinz. »Ihr Zustand ist
unverändert. Während eurer Abwesenheit war weder ein seltsamer Ton zu hören,
noch wurden Mönche ermordet, und es haben auch keine wahnsinnigen Mumien ihre
Gräber verlassen !« Mondkind und ich rannten ins Haus.
Klagende Morgendämmerung sah hübsch und sehr zart aus, während sie sich vom
Fieber geschüttelt im Bett hin und her warf. Sie schien unsere Anwesenheit zu
spüren und wollte sich aufrichten, fiel aber in die Kissen zurück. Meister Li
kam herein und fühlte ihr den Puls. Da er nach dem rechten Handgelenk griff,
vermutete ich, daß er den Zustand von Lunge, Dickdarm, Milz und der Parta ulta
untersuchte. Er knurrte zufrieden. »Sie kann die volle Dosis vertragen«,
erklärte er zuversichtlich und machte sich sofort ans Werk. Er kochte,
destillierte und mischte die Stechapfelsamen mit Kräutern und geheimnisvollen
Zusätzen und probierte die Mixtur schließlich an einer Katze aus, der sie zu
schmecken schien. Ich weiß nicht, ob man dem Zeug eine Wunderwirkung
zuschreiben kann oder nicht, aber ich weiß, daß Meister Li zuletzt etwas
hinzufügte, worauf kein anderer Arzt gekommen wäre. Mondkind und ich stützten
Klagende Morgendämmerung, und es gelang Meister Li, ihr eine ausreichende Menge
der Flüssigkeit einzuflößen. Nach etwa einer Minute wurde sie unruhig und
schlug die Augen auf. Zunächst nahm sie nichts wahr; dann wurde ihr Blick klar,
sie beugte den Kopf vor, und ihre Lippen berührten Mondkinds Wange. »Liebling«,
flüsterte sie. Ich beugte mich vor. »Lieber Ochse«, sagte sie und küßte mich
ebenfalls. Sie wurde sogar rot, als Prinz Liu Pao ihr lächelnd seine Wange zum
Kuß hinhielt. »Was ist passiert ?« flüsterte sie. »Es war
feucht und dunkel, ich lief und lief, und mich verfolgte etwas Schreckliches .« »Es ist alles vorbei«, sagte Meister Li beruhigend. »Du
mußt dir keine Sorgen mehr machen .«
    Ihr Zustand besserte sich
schnell. Sie und der Prinz baten uns immer wieder, ihnen von den Abenteuern in
der Hölle zu berichten. Klagende Morgendämmerung betrachtete staunend die
Stelle, wo der Pfeil in ihre Brust gedrungen war, und sagte, sie wüßte gerne,
wie man sich fühle, wenn man tot sei. Meister Li ging im Zimmer auf und ab und
schmiedete offenbar neue Pläne. Seine Unruhe wirkte ansteckend, und ich glaube,
sie beschleunigte Klagende Morgendämmerungs Genesung. Als sie wieder völlig
hergestellt war, kündigte Meister Li an, daß wir am nächsten Tag bei
Sonnenaufgang aufbrechen würden. Es sei Zeit, sagte er, etwas zu versuchen, und
wir sollten uns gut bewaffnen. Ich wählte ein Beil und steckte mir ein kurzes
Schwert in den Gürtel. Mondkind und der Prinz bewaffneten sich mit Speeren und
Dolchen; Meister Li spickte seinen Gürtel mit Wurfmessern. Klagende
Morgendämmerung konnte am besten von uns allen mit dem Bogen umgehen; sie
wählte sich einen geeigneten aus, füllte einen Köcher mit Pfeilen und steckte
sich ebenfalls ein Messer in den Gürtel. Meister Li hüpfte auf meinen Rük-ken.
    »Lauf den Hügel hinunter,
quer durch das Tal und zur Anhöhe beim Kloster«, sagte er. »Unterwegs werde ich
euch mit ein paar interessanten Dingen unterhalten, die ich mir notiert habe .«
    In der Nacht hatte es
geregnet, und es war ein wunderschöner Morgen. Regentropfen glitzerten auf den
Blättern wie winzige Perlen, und im Gras schienen Diamanten zu funkeln. Meister
Li zog seine Notizen hervor und winkte

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