Meleons magische Schokoladen
Blendlaterne nach draußen kam, erkannte Isabell den Leib eines ungeheuren dunkelbraunen Pferdes, das dicht an der Schwelle zusammengebrochen war. Die mächtigen Flanken wirkten eingesunken.
Sie ging in die Hocke, um dem Tier den Kopf zu streicheln und erschrak. Von der Stirn ragte etwas ins Dunkel außerhalb des Lichtkreises. Mit zitternden Fingern zog sie Meleons Hand mit der Laterne zu sich heran. Das Längliche war ein spiralig gekerbtes Horn, lang wie ein Degen und vorne ebenso scharf zugespitzt.
Meleon achtete nicht darauf. Er inspizierte eine tiefe Wunde, die von der Schulter abwärts verlief.
„Ich verstehe nicht, weshalb sie sich nicht zurückverwandelt hat“, sagte er zu Niklas. „Der Auftrag war weder sonderlich schwierig, noch ausnehmend gefährlich.“
„Noshar!“, zischte Niklas.
Meleon schüttelte den Kopf.
„Eine Begegnung mit ihm hätte sie nicht überlebt.“ Er fuhr mit der flachen Hand über der Wunde hin und her, die bereits eiterte und narbige Ränder gebildet hatte. „Die Verletzung ist nicht magisch“, sagte er. „Entweder wird der Empfänger meiner Botschaft abgeschirmt und sie hat ihn nicht erreicht, oder…“
„… sie haben ihn ermordet!“
„Möglich“, sagte Meleon. „Dann ist unser Problem noch ein wenig größer, als es ohnehin schon aussieht. Dann kann sie sich überhaupt nicht mehr rückverwandeln und muss für den Rest ihres Lebens in dieser Gestalt verweilen. Aber selbst, wenn Jilead am Leben sein sollten, haben wir vorerst Schwierigkeiten, Zamera unterzubringen und zu versorgen. Und sie kann uns nichts berichten.“
„Sie ist ein Sekoy?“, fragte Isabell.
Meleon nickte ungerührt.
„Die Zofe meiner verstorbenen Frau. Sie hat noch immer gute Beziehungen in unserer Heimat. Trotzdem ist ganz offensichtlich etwas schief gegangen.“
Isabell legte dem leise keuchenden Einhorn die Hand auf den Kopf.
„Warum überhaupt die Verwandlung?“, fragte sie. „Wäre es nicht viel einfacher, als Mensch zu reisen?“
„Nicht in unserer Welt. Weite Gebiete sind nicht besiedelt und nicht durch Straßen oder gar Postkutschenverbindungen erschlossen. Große Strecken sind von geschmeidigen Katzen oder geschwind galoppierenden Einhörnern schneller zurückzulegen.“
„Aber weshalb kein Pferd?“
Meleon lächelte.
„Nun, sagen wir so: Einhörner sind bewaffnete Pferde. Und in unserer Heimat fallen sie weniger auf, denn Pferde sind dort teure Importware. Einhörner hingegen streifen immer noch in großer Zahl durch die Wälder und über die Grasebenen.“
Isabell fühlte das Zucken einer Sehne unter ihrer Hand.
„Herr Meleon“, sagte sie. „Kann ich diese Welt sehen?“
Sie sah ihn grinsen, obwohl er es zu verbergen versuchte.
„Wie sehr Sie das Unbekannte doch reizt!“
„Wäre es möglich?“
„Möglich, ja. Aber auch gefährlich.“ Er bewegte die Finger über der nässenden Wunde und die Wundränder wurden ein wenig flacher. „Ehe wir jedoch solch abenteuerlustige Überlegungen ausspinnen, müssen wir erst einmal versuchen, Zamera ins Haus zu bringen.“
Sekoy
Meleon begleitete sie durch die nächtlichen Straßen nach Hause.
„Darf ich noch mit hinein kommen?“, fragte er wohlerzogen.
Isabell nickte resigniert. Daraufhin schwang die Haustür wieder einmal ganz von alleine auf. Goldenes Licht fiel auf den Teppich mit dem eindrucksvollen Wappen.
Ihre Eltern warteten auf sie und äußerten sich erfreut, dass Isabell den Heimweg in solch guter Hut angetreten habe.
Kein Wort des Tadels.
„Hören Sie, Herr Meleon! Mir ist das unheimlich. Sie haben meine Eltern vorher nicht gekannt. Diese Reaktionen sind so absonderlich. Es beunruhigt mich. Können Sie den Zauber nicht rückgängig machen?“
„Das wäre kompliziert. Außerdem hätten Sie dann wieder Mühe, Ihre abendliche Abwesenheit plausibel zu machen. Abgesehen davon wollte ich Ihren Vater gerade bitten, uns bei Zameras Behandlung zu helfen. Hebe ich den Zauber auf, weiß man nicht, was er zu der Bitte sagen würde, ein Einhorn zu verarzten.“
Isabell nickte widerstrebend.
„Können Sie die Wunden mithilfe von Magie nicht viel wirkungsvoller behandeln?“, fragte sie.
Meleon schnalzte.
„Ich habe keine Heilkräfte übertragen bekommen. Das Wenige, das mir zur Verfügung steht, habe ich mir damals angeeignet, indem ich gegen ausdrückliches Verbot auf dem Dach kauerte und durch die Dachluke bei einigen Unterweisungen zusah, die ein anderer erhielt. Gegen einen erfahrenen Arzt bin
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