Meleons magische Schokoladen
geformter Anhänger zu Boden. Sie wollte ihn aufheben, da brüllte Meleon von der Tür her: „Finger weg!“
Sie hatte ihn noch nie brüllen hören. Vor Schreck griff sie daneben.
„Nicht anfassen!“, befahl Meleon hart. Dann schob er sich an ihr vorbei und hob das Schmuckstück auf. Er hängte es sich um den Hals. „Ich bitte um Verzeihung für meinen Ton, aber das war äußerst gefährlich. Ich weiß nicht, wie er dort hinkommen konnte.“
„Bei der Toberei ist er wohl irgendwo herab gerissen worden“, sagte sie, immer noch erschrocken.
Meleon nahm ihre Hand.
„Das ist ein magischer Gegenstand. Ihn zu berühren, ist lebensgefährlich.“ Er streichelte ihren Handrücken. „Nicht böse sein“, sagte er schmeichelnd und hob ihre Hand an seine Lippen.
Isabell seufzte.
„Ich sollte Ihnen sogar sehr böse sein. Aber anscheinend hat Phineas recht. Sie bezaubern. Und das ist nicht unbedingt schmeichelhaft gemeint.“
„Aus seinem Mund gewiss nicht. Aber wir wollen jetzt nicht ausgerechnet an Phineas denken. Niklas müsste das Essen fertig haben. Lassen Sie uns einfach friedlich beisammen sitzen, seine Kochkünste würdigen, und alles andere auf später verschieben!“
Besuch
In der folgenden Nacht träumte Isabell, Meleon habe einen falschen Sekoy gegessen und säße nun als schokoladenbraune Nachtigall in einem Vogelbauer, gezwungen, Phineas Lieder vorzusingen, die sämtlich von Revolution und Umsturz handelten. Unter dem Käfig wartete eine schwarze Katze, bereit, Meleon zu verschlingen.
Schweißgebadet erwachte Isabell und musste sich erst besinnen, dass ihr der Schlaf Bilder vorgegaukelt hatte.
Erst nach und nach kehrten die Erinnerungen an den vergangenen Abend zurück und sie errötete jäh. Dann wieder kam ihr die Ereignisse in Meleons Laden ganz unglaublich vor. Sie wusch sich mit lauwarmem Wasser und nahm gerade ein Kleid aus dem Schrank, da klopfte es und Tine, das Dienstmädchen, kam mit einer cremefarbenen Karte. In samtigem Braun stand dort:
Sehr verehrte Freundin,
bitte fragen Sie Ihre Eltern, ob es ihnen genehm wäre, heute Mittag hohen Besuch zu empfangen. Die Gäste werden gegen zwölf Uhr erwartet. Da mein bescheidenes Heim nicht geeignet erscheint, eine festliche Tafel auszurichten, wäre ich Ihrer Familie sehr verbunden, wenn wir sie heute Mittag belästigen dürften. Formelle Kleidung und ein Menü mit sechs oder mehr Gängen wären dem Anlass angemessen. Zusammen mit Ihrer Familie und Ihnen wären wir am Tisch zu sechst. Schreiben Sie mir bitte einige Zeilen und Niklas wird sie mit zurück nehmen.
Ihr, Ihnen zutiefst verbundener, Meleon
Isabell schrieb ein knappes ja und gab dem Dienstmädchen die Karte zurück. Sie hatte wenig Lust, stets Meleons Wünschen zu entsprechen, aber diesmal siegte ihre Neugier. Was verstand Meleon unter hohem Besuch? Gäste aus seiner Welt?
Eilig lief sie nach unten, um die Köchin von der Herausforderung zu benachrichtigen. Am Frühstückstisch erzählte sie ihren Eltern von der Nachricht, und wie sie erwartet hatte, sagte ihr Vater, es sei doch äußerst zuvorkommend von Herrn Meleon, sich der Familie Fechter zu erinnern, wenn er ein formelles Essen zu geben gedenke. Welch Glück, dass Sonntag sei, so brauche man keine Rücksicht auf die Praxis zu nehmen.
Eine Minute vor zwölf wurde mehrmals fordernd die Klingel gezogen. Der Hausherr hatte sich selbst in die Halle begeben, um die Gäste zu begrüßen. Er sah sich einem streng gekleideten Enddreißiger gegenüber, der einen Gehstock aus Palisanderholz führte, den Hemdkragen der Mode entsprechend unterm Kinn gebunden hatte, und dazu säuerlich dreinblickte.
Er nickte zur Begrüßung ernst und würdig, verzichtete jedoch darauf, sich vorzustellen. Dr. Fechter führte ihn ins gemütlich ausstaffierte Wohnzimmer und bot ein Gläschen Südwein an, das gnädig akzeptiert wurde.
Sechs Minuten später klopfte es an die Haustür. In Erwartung, Meleon zu sehen, öffnete Isabell. Ein Handwerksbursche zog den Hut vor ihr.
„Grüß Gott, schönes Fräulein!“, sagte er. „Dürfte ein müder Wanderer wohl auf ein Glas Wasser und einen Kanten Brot hoffen? Und ist mein Bruder schon gekommen? – Ein arroganter Mann mit Stock und der Miene eines Magenkranken?“
„Hm, das könnte sein“, sagte Isabell. „Kommen Sie doch bitte herein!“
Der Handwerksbursche hängte sein Bündel an die Garderobe, blinzelte dem Dienstmädchen vertraulich zu und ging dann hinter Isabell her ins Wohnzimmer, wo
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