Melli - einmal blinzeln und von vorn
ist es voll lustig. Oder praktisch, zum Beispiel bei den Hausis oder im Sport oder so. Aber es kommt immer häufiger. Und unerwartet. Jedes Mal bin ich völlig fertig und weià gar nicht, was mit mir oder euch los ist. Ich fühle mich furchtbar. Wie ein Alien. Bitte, Oma, vielleicht kannst du mich ja auch hören. Wenn du irgendetwas weiÃt, was mir helfen kann, dann sag es mir. Ich muss wissen, weshalb das passiert. Ob ich es verhindern kann. Oder irgendwie beeinflussen?«, sprudelte es aus Melli heraus. Sie erzählte von Finchen, die sie gerettet hatte, von Adrian, den sie nicht verhindern konnte, und von den vielen kleinen Zeitstopps und Zeithüpfern zwischendurch. Als ihr endlich nichts mehr einfiel und ihre GroÃmutter erwartungsgemäà auch nichts antwortete, stieg sie langsam aus.
»Hey!« Fast wäre sie über eine Tasche gestolpert, die am Boden lag. Oma Doros Patchwork-Tasche, die bei Mellis Bemühungen wohl aus dem Auto gefallen war. Schnell bückte sie sich. Ehe sie Gewissensbisse bekommen konnte, glitt ihre Hand schon in die Tasche und wühlte darin herum. Schlüssel, Krempel, Zeugs ... und ein Schächtelchen. Neugierig zog sie es heraus. »Für Melli« stand mit eleganten Schnörkeln auf einem Post-it, das daraufgepappt war. Melli schaute noch mal genau hin. Da stand eindeutig ihr Name. Warum also nicht gleich öffnen? Nein, das Schächtelchen war fest verschlossen. Ging also nicht. Das war ja zu ärgerlich, dass sie jetzt nicht einfach hineinschauen konnte. Verstimmt schob sie es zurück in die Tasche, legte diese auf den Autositz und schloss mit einem lauten Schlag die Tür.
Unschlüssig wanderte sie durch das Haus ihrer Tante und schaute nach Lora. Die lag noch immer in ihrem Bett und glotzte an die Decke, als wäre sie ein Spiegelei. Wie tot sah sie aus. Nicht auszuhalten. Melli strich ihr kurz über die Haare und befühlte ihre Stirn, wie es Pam bei ihr tat, wenn sie einen Fieberanfall befürchtete.
Sie fühlte sich schrecklich einsam. Als wäre sie das einzig lebendige Wesen überhaupt. Wie grausam. Wenn es doch bloà einen Schalter gäbe, den sie mal kurz umlegen könnte, um die Zeit wieder in Gang zu bringen. Vielleicht würde ihr Musik helfen.
Sie holte sich ihren iPod, drehte die Musik auf und stöpselte ihn an Christofs Hightech-Anlage. Volle Lautstärke, das Haus zitterte und wackelte. Mit einem Glas Wasser und einer Packung Kekse setzte sie sich auf die Eingangstreppe und hörte der dröhnenden Musik zu. Merkwürdig, wenn kein Auto fuhr, kein Vogel sang. Weil der Lärm zwar gegen die Stille half, aber nicht gegen die Einsamkeit, weinte sie ein wenig und fühlte sich gleich noch schlechter. Ob ihre Mutter auch erstarrt war, drüben in den USA? Ob sie spüren konnte, wie verzweifelt Melli war? Lag sie womöglich gerade in Adrians Armen, so wie Melli das aus den amerikanischen Liebesfilmen kannte, oder unternahmen sie etwas mit Jason?
»Und was soll ich jetzt tun?«, schrie sie einfach über den Hof, denn es konnte sie ja sowieso niemand hören.
SchlieÃlich erhob sie sich traurig und ihre Beine lenkten automatisch wieder zurück in ihr Haus. In ihr eigenes Zimmer, ihren Rückzugsort, die vertrauteste und schönste Umgebung, die sie sich vorstellen konnte.
Sie legte sich auf ihr höchsteigenes Bett und versuchte, Loras Stellung nachzuahmen. Wie fühlte man sich, wenn man stundenlang in dieser Pose lag, ohne einen Finger zu rühren? Schon nach zehn Sekunden kribbelte es in Mellis Beinen. Dann zwickte es in ihrer Hand, ihre Augen wurden trocken und sie musste sich räuspern, musste schlucken, blinzeln, etwas kratzte sie am Kopf und überhaupt lag sie nicht sonderlich bequem. Selbst hier konnte sie die laute Musik aus Christofs Anlage hören, aber das war besser als diese unglaubliche Stille. Auf dem Rücken konnte sie höchstens lesen und auch dazu legte sie sich am liebsten auf den Bauch. Gute Idee, eigentlich. Prima Ablenkung. Wenn dieser Zeitstopp und das ewige Nachdenken nämlich nicht sofort aufhörten, würde sie wahnsinnig werden. Sie nahm sich den letzten Band ihrer Lieblingsserie und versuchte, an nichts anderes zu denken als an den niedlichen Typen, in den sich die Hauptfigur verknallt hatte. Sie stellte sich vor, dass er aussah wie Leon. Doch immer wieder fielen ihr die Augen zu. Sie war einfach hundemüde. Kein Wunder nach einem so
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