Melli - einmal blinzeln und von vorn
schauen.«
»Vielleicht können uns Jacob und Mario dabei helfen. Die sind online ziemlich fit und kennen ein paar aus Adines Ex-Klasse. Pia ist ja schon sauer, wenn ich den Namen Adine nur ausspreche. Egal was ich sage, sie ist der Meinung, ich sei ungerecht.«
»Bei mir ist es genauso. Sie sagt, ich hätte nur Vorurteile und sollte mir meine eigene Meinung bilden.«
Loras Computer meldete sich mit einem leisen »Pling«. »Nachricht von Jacob«, stellte sie fest und öffnete das Chatfenster. »Er will wissen, was abgeht«, spottete sie. »Ausgerechnet. Würde er nicht andauernd auf dem FuÃballplatz rumhängen oder sonst einen überflüssigen Sport machen, bräuchte er nicht so blöd zu fragen.«
»Sei nicht so gemein. Jacob und Mario sind eben nicht die Typen für das Musical und Jazztanz und so. Und mal ehrlich, wir können mit den beiden ja nicht bis in alle Ewigkeit Baumhäuser bauen, Detektiv spielen oder was auch immer wir bisher gemacht haben«, stellte Melli fest.
»Aber wir könnten mal wieder zusammen ins Kino gehen.«
»Tanzfilme und romantische Komödien sind nicht gerade ihr Ding. Und ich mag keine Filme, in denen die ganze Zeit irgendwas in die Luft fliegt oder Batman um die Ecke biegt.«
»Du meinst, es ist vorbei?«, fragte Lora leise.
»Vorbei mit was?«
»Na ja, mit unserer Gang eben.«
Melli seufzte wehmütig. Klar war das Leben aufregend, so wie es war, aber manchmal trauerte sie den langen Nachmittagen nach, die sie mit ihren Freunden im Wald oder zwischen den Hecken der Felder verbracht hatte, sich spannende Abenteuer ausgedacht oder an ihrem Dschungelversteck gebaut hatte. Kurz flitzte ihr durch den Kopf, dass sie vielleicht mit einem Zeitsprung zurück â doch dann erinnerte sie sich an das Fiasko mit Adrian und ihrer Mutter.
»Oh Mann«, seufzte sie wieder, dieses Mal aber aus einem anderen Grund.
»Jetzt nimm es nicht so schwer. Du hast vermutlich recht. Die Zeiten sind vorbei, aber wir können ja trotzdem noch befreundet sein, oder?« Lora war der nachdenkliche Ausdruck in Mellis Gesicht nicht entgangen. »Wenn ich mich recht erinnere, dann hast du noch ein Referat in Musik vorzubereiten. Ich lass dich mal allein. Und hier«, sie schob Melli eines dieser gigantisch sauren, fiesen Kaubonbons über den Schreibtisch zu. »Sauer macht lustig, sagt Oma Doro doch immer. Das ist eine neue Geschmacksrichtung, brennt wie Feuer! Ach, apropos Oma â die kommt später zum Schwatzen und Bücherabladen. Sie hat wieder ein paar neue bekommen, die wir angeblich unbedingt lesen müssen.«
Ich bin ja so was von mistig feige, dachte Melli, als sie unlustig in ihrem Buch blätterte. Nebenbei schrieb sie auf ein Post-it »unbedingt mit Oma reden« und pappte es an ihr Notebook. Vielleicht würde das ihrem Mut auf die Sprünge helfen, aber zuerst das Referat.
Boah, das Kaubonbon war wirklich die Härte. Seite für Seite las sie sich durch den Papierberg, den sie von ihrem Musiklehrer zum Thema »Neue Deutsche Welle« bekommen hatte. Gut, dass der Mann in Bezug auf das Internet so altmodisch wie ihre Mutter war, denn ausgerechnet jetzt funktionierte das W-LAN nicht und sie hockte ohne Verbindung an ihrem Rechner. Es wäre natürlich mit einem kopierten Eintrag aus dem Netz viel schneller gegangen. Während sie immer wieder kalte Luft in den Mund sog, um das Bonbon-Feuer auf der Zunge zu löschen, hatte sie ihr Referat trotzdem relativ schnell fertiggestellt. Jetzt musste sie nur noch den Text in eine präsentable Form bringen. Powerpoint geöffnet und los. Die fünf Charts waren im Nu fertig. Ein paar Fotos und Hörproben der gröÃten Hits würde sie später noch suchen und einfügen müssen, aber das war schnell erledigt.
Melli blickte auf Loras digitale Funkuhr, die mahnend an der Wand hing und ihr das Trödeln austreiben sollte. Schnell schaute sie noch einmal hin. Und wieder. Das konnte doch nicht sein! Ja, sie hatte zwar zügig gearbeitet, aber dass nur knappe fünfzehn Minuten vergangen sein sollten, seit Lora gegangen war, das war einfach unmöglich! Sie sprang auf und lief aus dem Zimmer. Hinter ihr schlug die Tür laut zu, aber das störte sie nicht im Geringsten. In Pias Zimmer entdeckte sie Lora, die wie das vergiftete Dornröschen in ihrem Bett lag und mit offenen Augen schlief. Melli brauchte sie gar nicht
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