Melodie der Sehnsucht (German Edition)
vor Sabines Vater und ihren Ehemann schleppen. Die junge Frau würde tausend Tode sterben vor Scham. Und wem würde man letztlich glauben? Einer ehemaligen Katharerin, einem Reitknecht und einem Fahrenden Ritter? Oder François de Caresse, der zweifellos behaupten würde, Sabine hätte sich ihm freiwillig hingegeben.
François ließ Sabine los und lachte. »Aber ein Kuss in Frieden, ja, Marquise? Ihr werdet nicht versuchen, mich zu beißen, zu treten, mir die Augen auszukratzen?«
Sabine schüttelte besiegt den Kopf.
»Dann sehen wir mal.« François de Caresse beugte sich zu ihr herab und drückte seine Lippen auf die ihren. Steif erduldete Sabine, wie seine Zunge sich hindurch schob und anfing, ihren Mund erkundete. Es war ein seltsames Gefühl, einem anderen Menschen so nahe zu sein und an Stellen berührt zu werden, an deren Liebkosung sie nie gedacht hatte. François schien die zarte Haut oberhalb ihrer Zähne zu streicheln, tastete sich über ihren Gaumen und schien ihre Zunge mit seiner zu umfassen. In einer anderen Welt hätte sie diese Zärtlichkeiten vielleicht sogar genießen können. Wenn die Berührung nur nicht gezwungen gewesen wäre, und wenn jemand anderer sie geküsst hätte als dieser unangenehme, zweifellos verräterische François.
Sabine riss sich im gleichen Moment los, als seine Lippen endlich von ihr abließen.
François grinste. »Ich hoffe, Ihr habt es genossen, Marquise Mère!«
Sabine blickte ihn hasserfüllt an. Ihre Augen schienen Blitze zu schleudern. »Kein Wort zu Eurem Vater«, sagte sie streng.
François schüttelte den Kopf. »Bei meiner Ehre als Ritter!«
Er lachte.
Sabine wusste, dass sie keinen verlässlicheren Schwur bekommen konnte. Aber ein Verrat wäre für François immerhin genau so gefährlich wie für sie selbst. Ohne ein weiteres Wort an den Ritter wandte sie sich ab – und blickte in die ängstlichen Augen Gastons.
»Du brauchst das Pferd nicht zu satteln, Junge. Geh schlafen. Und vielen Dank!«
Florimond steckte sein Schwert zurück in die Scheide und ließ sich auf sein Heulager fallen. Er fühlte sich erleichtert, aber auch zutiefst beschämt. War es nicht doch Feigheit gewesen, die ihn hinderte, Sabine zur Hilfe zu eilen? Hätte er den Sprung aus dem Außenfenster wagen sollen? So jedenfalls hatte ihm gerade ein kleiner Reitknecht eine Lektion in ritterlicher Tugend erteilt.
Florimond schwor sich, dass dies nicht noch einmal vorkommen würde. François de Caresses und seine Wege würden sich wieder kreuzen. Und er würde auch Sabine wiedersehen – und dann – warum nur dachte er weniger daran, sie zu rächen als sie seinerseits zu küssen? Doch dabei sollte ihr Gesicht nicht Widerwille und Ekel spiegeln, sondern Glückseligkeit und reine Lust! Florimond sehnte sich danach, diese zutiefst verzweifelte, verlorene Frau glücklich zu machen. Er wollte ihr Lachen hören, wollte ihre traurigen Augen glänzen und ihr Gesicht strahlen sehen.
So gesehen war es gut, dass er sich François heute Nacht nicht gezeigt hatte. Noch hatten weder Vater noch Sohn einen Händel mit ihm, er konnte das Schloss der Caresses aufsuchen, sobald sich ein Vorwand fand.
Fünftes Kapitel
Die Güter des Marquis de Caresse lagen weiter im Norden des Herzogtums Aquitanien, näher am Sommerhof des Herzogs in Toulouse. Vom Schloss der Clairevaux trennte sie eine Tagesreise, wenn man schnelle, trittsichere Pferde besaß. Der Zug der Maultiere mit Sabines Mitgift würde mehrere Tage unterwegs sein.
Jules de Caresse hatte sich allerdings entschlossen, dem Tross mit seiner jungen Frau vorauszureiten. Auch auf seinen Gütern stand die Weinlese an, er wollte nicht zu lange Zeit fortbleiben. So freute er sich darüber, dass Sabine eine gute Reiterin war und ohne Mühe mit ihm und seinen Rittern mithalten konnte. Auch ein Teil der Hochzeitsgesellschaft schloss sich dieser Vorhut an – wer immer aus der Nähe von Toulouse angereist war, nutzte die Gelegenheit, unter dem Schutz der Ritter gefahrlos reisen zu können, und dann auch noch einem weiteren Festmahl beiwohnen zu können, nachdem Sabine und Jules ihren Ehebund vor dem Priester besiegelt hatten.
Einige der Edelfräulein klagten jedoch über das hohe Tempo, das Caresse vorlegte – und auch Fleurette hielt sich nur mühsam über so viele Stunden auf dem Pferd.
»Wenn ich eine Marquise wäre, würde ich darauf bestehen, in einer Sänfte zu reisen«, erklärte sie ihrer Herrin während einer Rast und schaffte es damit, ein leichtes
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