Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Himmel gewesen seien und welche Winterschatten über dem Land gelegen hatten. Er fügte hinzu, daß er sehr gern daliegen und sie sich in den Gärten von Cookham vorstellen würde – »wo du bald die echte Herrin sein und bestimmen wirst, welche Blumen ausgesät und wie viele Reihen Erbsen angepflanzt werden sollen« –, und sollte sie etwas im Park oder Garten finden, das ihr besonders gefiele oder das sie besonders lustig fände, dann bäte er sie, es mitzubringen, damit er darin den Duft des nahenden Frühlings wahrnehmen könne.
Charlotte hatte keine besondere Lust, allein draußen in der Kälte herumzuspazieren, während George in seinem Zimmer lag. Sie hatte sich zwar sehr oft vorgestellt, wie sie in dieser grünen Landschaft mit dem weiten Himmel und dem tiefen, von den Eichenwäldern dunklen Horizont herumwanderte, doch immer mit George zusammen. In ihren Träumereien hatte sie sogar zu George gehört , war sie Mrs. George Middleton gewesen und konnte nirgendwo anders als an seiner Seite sein.
Sie erklärte sich aber bereit zu gehen. Sie wollte ihre Mutter bitten, sie zu begleiten, und sie würden dann Georges Pferd Soldier, die Schweineställe und Hundehütten besuchen und an den Wäldern entlanggehen, wo für das Wild immer Winternahrung ausgelegt wurde.
Als sie sich in Wollumhänge gewickelt auf den Weg machten, bemerkte Anne Claire, die Kälte des Dezembers sei »in Norfolk unerbittlich«. Charlotte erwiderte nichts darauf, sondern stellte nur still bei sich fest, wie hart der Boden unter ihren kleinen braunen Stiefeln war und daß sich kein Lüftchen regte.
Als sie an der Koppel ankamen, wo die Pferde noch mit Wolldecken auf den Rücken weideten, rief sie nach Soldier. Er war ein großes Pferd, so schwarz wie die dunklen Löcher unter den Bäumen im Wald, mit hohem Widerrist und hochmütigem Blick, und wurde wegen seiner Kraft und seines harten Mauls, das nicht zu merken schien, wenn an der Gebißstange gezogen wurde, von niemandem außer George Middleton gern geritten. »Vielleicht kannst du«, sagte Anne freundlich, »wenn du mit George verheiratet bist, darauf bestehen, daß er ein anderes Pferd reitet …«
Charlotte streichelte die Pferdenase. »Falls ich je mit ihm verheiratet sein werde!« sagte sie traurig. »Ich glaube, ich werde dann nur darauf bestehen – still für mich –, daß mich George immer liebt.«
Sie entdeckte im Gras die Feder eines Eichelhähers und hob sie auf. Sie überlegte, ob es ihm wohl Freude bereiten würde, wenn sie ihm diese mitbrächte. Doch die Feder war bloß hübsch, machte ihr aber keine Freude und war auch nicht lustig, und so ließ sie sie wieder fallen.
Sie sahen die Schweine, die sich im Stall aneinanderdrängten, um sich zu wärmen. Charlotte dachte, ein Schweineschwanz sei vielleicht etwas so Heiteres, daß es einen Mann nach einer Operation zum Lachen brächte, und sie überlegte, ob sie darum bitten könnte, eine der Säue an eine Leine zu legen, so daß sie das Tier die gebohnerten Stufen hinauf und den Flur entlang zu Georges Schlafzimmer bringen könnte. Doch fand sie, daß die Schweine zu fett waren, ihr Leben zu kurz und ihr Benehmen zu schlecht, als daß sie George zum jetzigen Zeitpunkt trösten könnten. Außerdem sollte er sie nicht für ganz verrückt halten, bloß für ein bißchen einzigartig. Er sollte in ihr gerade so viel Unerwartetes antreffen, daß es sie unersetzlich machte.
Sie hatte keine Ahnung, wonach sie eigentlich suchte. Sie wußte, daß im Gebüsch ein im Winter blühender Kirschbaum stand, der im Dezember Knospen trieb. Vielleicht sollte sie einen Zweig dieses Baums auf Georges Tagesdecke legen? Doch als sie bei ihm ankam, sah er grau aus. Er hatte zwar winzige Knospen, doch waren diese noch geschlossen. Es war nichts Unterhaltsames daran.
Dann kamen sie zum Küchengarten, der hinter niedrigen Buchsbaumhecken angelegt war, und Charlotte sah Reihen von ausgegrabenem Stangensellerie, herausgezogene und zum Trocknen ausgelegte Zwiebeln, heruntergefallene und zu einem Mulch entfärbte Äpfel und Porree, der aussah wie kleine grüne Springbrunnen.
Als sie an einem Kohlbeet vorbeikamen, blieb Anne stehen und sagte: »Ich wußte gar nicht, daß George dies hier auf Cookham anbaut.«
»Was? Kohlköpfe? Die wachsen doch in jedem Garten, Mutter!«
»Nein«, erwiderte Anne. Sie blieb stehen und schlug die äußeren Blätter des Kohlkopfes zurück, und Charlotte sah nun, daß in seinem Innern nicht, wie erwartet,
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