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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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auf wunderbare Weise von den Prunksälen in sein Schlafgemach zu hieven. Sie erinnerte sich an die raffinierte Falltür zum Keller von Rosenborg und die Rohre und Kanäle, um die Orchestermusik ins Vinterstue zu leiten. Sie folgerte daraus, daß man, wenn es möglich war, Musik (die nichts Körperliches war) auf so geniale Weise zu verschicken, sich doch bestimmt auch etwas ausdenken könnte, um den Körper des Königs von dem einen Ort zum anderen zu bewegen.
    Vibeke stand vor einem der mit Brokat bezogenen Throne des Königs und blickte darauf. Sie stellte sich vor, wie dieser, wenn es sich um einen Stein für einen Turmbau handeln würde, langsam mit Seilen und Rollen hochgezogen wurde. Sie sah, wie leicht er war – selbst wenn der König darauf saß –, verglichen mit einem großen Stein, und wie wenig Erfindungsreichtum notwendig sein würde, um sich etwas auszudenken, womit er hochgezogen und wieder abgesenkt werden konnte. Sie fertigte mit ihrer Kalligraphiefeder kleine Zeichnungen an, auf denen zu sehen war, wie an der Decke ein Rechteck ausgeschnitten war und der Thron dorthin hochgeschwungen wurde. Als sie die Skizzen so weit ausgearbeitet hatte, daß sie wußte, sie würden König Christian zumindest amüsieren , legte sie ihm die Zeichnungen vor.
    Er sah sie sich sehr genau an – ebenso intensiv wie einst einen auf dem Boden ausgebreiteten Haufen Knöpfe und einzelne Blätter italienischen Pergaments, die ihm zur Prüfung vorgelegt worden waren. Dann nahm er Vibekes Hand und legte sie sich an die Wange. »Das hast du gut gemacht, meine Zuckerpflaume!« sagte er. »Das hast du sehr gut gemacht!«

    Nachts, wenn der König neben ihr schlief, blickte Vibeke Kruse nun durch den Spalt in den Vorhängen zum Frühlingsmond.
    Wie nie zuvor fiel ihr auf, wie wunderbar und herrlich der Mond schien. Sie wußte, daß sein Leuchten von der Sonne geliehen war, konnte es aber nicht begreifen, weil die Sonne doch vom Himmel verschwunden war. Sie führte dieses Nichtverstehen auf ihre Dummheit zurück, kam aber zu dem Schluß, daß sie irgendwann einmal gern den Mond deutlicher sehen würde, um so – mittels eines Teleskops – über ihre eigenen Grenzen hinaus zum Verständnis zu gelangen.
    So kam sie auf die Idee, den König zu bitten, ein Observatorium zu bauen, von dem aus sie gemeinsam zum Mond und zu den Sternen blicken könnten. Sie stellte sich vor, wie sie beide im Sommer dort oben allein mit dem Himmel sein würden und wie herrlich das wäre.
    Doch dann bemerkte sie einen Fehler in ihrem Plan. Ein Observatorium würde notwendigerweise ein sehr hohes Gebäude sein, und wie anders als über eine schreckliche Anzahl Stufen konnte man in den oberen Teil eines hohen Gebäudes gelangen? Diese könnten den Tod des Königs bedeuten. Und so würde alles künftige Glück – für sie und König Christian – vielleicht noch dieser ihrer Laune geopfert, zu verstehen, woher das Leuchten des Mondes kam. »Und das ist eine Dummheit«, sagte sich Vibeke, »es ist eine Dummheit, wie Kirsten sie sich ausdenken würde.«
    Trotzdem blickte Vibeke immer wieder zum Mond, wie er zunahm und wieder abnahm und wieder zunahm. Er war für sie wie ein guter Bekannter von früher, der immer wieder aus der Dunkelheit auftauchte, weil er ihr noch etwas zu sagen hatte.

DER GESCHNITZTE STOCK
    »Niemand weiß«, sagt Johann Tilsen zum Arzt, »wie die Striemen auf ihren Körper gekommen sind, weil sie sich weigert, es uns zu sagen.«
    Magdalena liegt im Bett. Blut fließt aus ihr auf die weißen Tücher. Auf ihrem Unterleib sind rote Blutergüsse, die allmählich purpurfarben werden.
    Der Arzt blickt von diesen auf und Johann an. Er sagt noch einmal: »Ich weiß, daß ein Mann manchmal … in einem kurzen Verlust … in einem Wutanfall, den er nicht beabsichtigt hat …«
    »Ich schwöre bei Gott, daß ich nicht Hand an sie gelegt habe!« erwidert Johann.
    Dann spricht der Arzt so leise mit Magdalena, daß Johann nicht verstehen kann, was er sagt, und diese antwortet nicht, sondern schüttelt nur den Kopf. So deckt der Arzt sie zu und geht mit Johann aus dem Schlafzimmer, in dem es so stark nach ihr riecht, als lägen dort zehn oder hundert blutende Magdalenas.
    Sie gehen die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, und der Arzt stellt sich mit dem ernsten Gesicht eines Mannes, der gleich eine zornige Strafpredigt halten will, ans Feuer. »Es besteht kein Zweifel, daß ihr Körper Verletzungen aufweist«, meint er. »Wenn sie nicht geschlagen worden

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