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Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Tremain
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versuchte, das lästige Tränen unter Kontrolle zu bringen, und sagte dann: »Wir haben soeben erfahren, daß Seine Majestät König Frederik II ., unser geliebter König, gestern nachmittag in Seeland bei Antvorskow plötzlich erkrankt und trotz der Anstrengungen seiner Ärzte, Ihn zu retten, dahingeschieden ist. Gott gebe Seiner Seele Frieden!«
    Christian rührte sich nicht. Er legte die Hände um die Kanten seines Holzpults und hielt sich daran fest. Sein erster Gedanke galt seiner Mutter, und er wünschte, er wäre bei ihr, in einem flachen Boot auf dem See von Frederiksborg.
    »Hinknien!« sagte Mikkelson.
    Alle um ihn herum, die Knaben der Koldinghus-Schule, schoben ihre Stühle zurück und knieten nieder, die Gesichter Christian zugewandt. Dann sank auch Hans Mikkelson auf die Knie, und alle legten wie im Gebet die Hände zusammen. Christian wußte, daß er etwas sagen sollte, doch er brachte als Antwort auf den Gruß nur ein Nicken zustande.
    »Lang lebe Seine Majestät König Christian IV .!« sagte Mikkelson.
    »Lang lebe Seine Majestät König Christian IV .!« wiederholten die Knaben fast einstimmig.
    Christian nickte noch einmal. Dann merkte er, daß er auf das Pult vor seinem starrte, auf das von Bror Brorson, das leer war. Er blickte zu Mikkelson hinüber, von dem hinter seinem riesigen Schreibpult nur der Kopf zu sehen war und dem Tränen aus den Augen strömten. »Würdet Ihr mich für diese Stunde entschuldigen, Herr Professor?« fragte er.
    »Natürlich, Euer Majestät!« erwiderte Mikkelson.
    Hocherhobenen Hauptes ging Christian langsam zur Tür und öffnete sie. Als er draußen auf dem Gang war, begann er zu laufen. Laufen war in den Korridoren der Koldinghus verboten.
    Er lief in Windeseile durchs Portal in den Hof mit dem Kopfsteinpflaster. Dort lag eine dicke Schneeschicht, und Christian trug nur seine Schuluniform aus dunkelbraunem Wollstoff mit dem Hemd aus weißem Leinen. Er rannte, so schnell er konnte, über den Hof und gelangte durch eine Holztür zum giebligen Nebengebäude der Koldinghus, wo das Hospital untergebracht war. Er blieb nicht stehen, ja verlangsamte nicht einmal seinen Schritt, als ihn eine der Schwestern fragte, was er da tue, sondern raste weiter, bis er bei dem kleinen Zimmer ankam, in dem Bror Brorson lag.
    Bror schlief. Die grauen Schatten um seinen Augen waren dunkler denn je. Als ihm Christian die Hand auf die Stirn legte, merkte er, daß diese glühend heiß war.
    Christian setzte sich auf einen Holzstuhl an Brors Bett. »Hier«, sagte er laut, »beziehe ich jetzt Stellung!«
    Er wußte, daß er keinen Augenblick zu früh kam. In dem Zimmer spielte sich ein Kampf ab – der Tod war aus dem Keller gekommen und rang jetzt in der kleinen Kammer des Hospitals mit Bror –, und Christian war nun da, um Bror beizustehen.
    Er dachte nicht mehr an den Tod seines Vaters. Vielmehr stieg in ihm plötzlich eine tiefe Kraft und Stärke auf. Diese lenkte er in Gedanken in die Wiedergabe von Brors Namen in seiner allerschönsten Schrift:

    Er sprach den Namen aus, schrieb ihn in die Luft, wiederholte ihn, schrieb ihn größer, immer größer, mit noch perfekteren Schnörkeln.

    Er hatte zwei Waffen und der Tod nur eine. Er hatte die neue Macht seines Königtums und seine unleugbar schöne Wiedergabe von Brors Namen. Der Tod hatte nur sich selbst. Christian sprach zu dem schlafenden Bror. »Ich bin jetzt hier«, sagte er. »Dein König ist da. Du mußt dich ausruhen. Ich kämpfe für dich.«
    Die Nachricht von König Frederiks Tod verbreitete sich rasch in der Schule. Die Schwester, die das Hospital leitete, kam in Bror Brorsons Zimmer, kniete neben Christian nieder und sagte: »Euer Majestät darf nicht im Hospital sein. Euer Majestät sollte, wenn es Euch beliebt, dieses Krankenbett verlassen und zur Schule zurückkehren, wo Eure Reise nach Kopenhagen vorbereitet wird.«
    »Nein«, erklärte Christian, »ich habe hier Stellung bezogen.«
    Er wußte nicht, wie lange er kämpfen mußte. Er wußte nur, daß das, was immer er in Kopenhagen zu tun hatte, warten konnte, sein Freund Bror Brorson aber nicht. Er bat, mit seinem Kampf allein gelassen zu werden. Er griff nach Brors glühender Hand und hielt sie in der seinen. Dann zeichnete er mit ihr unsichtbar den Namen des Knaben. Bror hatte starkes Fieber, und in dem kleinen Zimmer hing ein übler Geruch. Christian wußte, daß der Tod in den Falten der Bettdecke kauerte, so wie der Teufel über einem schlafenden, noch ungetauften

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