Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
ordentlich in Reih und Glied. Es riecht in Kristiansand nach Fisch, Harz und salzigem Wind.
Als der König von Bord seines Prachtschiffes geht, wird er von einer großen Menschenmenge umringt. Die Tre Kroner wird hier auf ihn warten, um ihn wieder nach Hause zu bringen, während die Genies der Mine den Silberabbau im Numedal- Gebirge überwachen. Dann wird das Schiff nach Kristiansand zurückkehren und nochmals warten, diesmal auf das Eintreffen des Silbers. Während das Erz im Laderaum verstaut wird, sollen dort unten in der Dunkelheit Soldaten ständig Wache halten. In Kopenhagen werden dann die Maschinen der Königlichen Münzanstalt geölt und repariert. Auch ein neues Bild des Königs (älter, kräftiger ums Kinn und mit besorgterem Blick) soll geschlagen werden, um auf Hunderttausende von Dalern gepreßt zu werden.
Es ist kalt an diesem Morgen, die Leute von Kristiansand drängen. Sie wollen den König berühren. Sie halten ihm ihre Kinder zum Segnen hin. Einige von ihnen erinnern sich, wie er als Kind zusammen mit seinem Vater König Frederik und seiner Mutter Königin Sofie nach Norwegen kam und die Handwerksgilden besuchte. Sie wissen noch, daß das Wort »schludrig« etwas Furchterregendes bekam und ihnen Alpträume bescherte. Doch an diesem kalten Morgen sind sie von der Mächtigkeit des Königs beeindruckt. In seinen großen Stiefeln und seinem weiten Brokatcape sieht er aus wie ein Riese aus den alten Legenden. »Sir!« rufen sie. »Sir! Sir!«
Kristiansand ist jedoch nur eine Sammelstation für den Minenkonvoi. Die königliche Gesellschaft macht sich nun in bedeckten und offenen Wagen auf den Weg zu den felsigen Tälern des Numedal im Nordwesten. Die beiden Musiker sind in einem zugigen Vehikel untergebracht, das mit Leinwand ausgekleidet ist und von Mauleseln gezogen wird. Krenze, der unter Sackleinen kauert, bemerkt: »In Kopenhagen zog sich der Winter schon fast zurück. Es ist einfach unerträglich, daß wir ihm nun wieder ausgesetzt sind!«
Peter Claire antwortet nicht. Der Deutsche läßt ihn nicht aus den Augen, und unter seinem unerbittlichen Blick steigt wieder Melancholie in ihm auf, die mit zunehmenden Meilen, als sich der Konvoi durch Schneeverwehungen kämpfen muß, immer heftiger und tiefer wird. Der Abstand zwischen seinem jetzigen Zustand und seinem früheren Leben erscheint ihm nun so groß, daß er meint, eine Rückkehr sei unmöglich geworden. Wenn er sich in Kopenhagen noch etwas von den alten Sehnsüchten und Träumen bewahren konnte, dann haben ihn diese hier in Norwegen endgültig verlassen. Wenn sich ein Mensch zu weit von zu Hause weg begibt, kann er sich verlaufen und nie wieder zurückfinden. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als immer weiterzuziehen und zu beten, daß ihn die Hoffnung nicht auch noch verläßt.
Und so erkennt Peter Claire, während der von Mauleseln gezogene Wagen auf dem Weg zu dem einsamen Vorposten, wo das Silberminendorf entstehen soll, dahinruckelt und ihn Krenze über dem Haufen Sackleinen unverwandt beobachtet, daß er nun sein ganzes Leben ohne die Liebe und Gesellschaft seiner Gräfin verbringen muß. Sie wird in Irland alt werden. Ihre Töchter werden heranwachsen und etwas von ihrer Schönheit erben, doch sie selbst – so wie sie jetzt ist und wie sie Peter Claire immer in Erinnerung behalten wird – wird nie wieder vor ihm stehen.
Er versucht, sie klar zu sehen, einen letzten Blick auf sie zu werfen, bevor ihm die Zeit auch noch die Erinnerung an sie raubt. Er legt sie im Wagen neben sich, streicht ihr übers glänzende Haar und hört sie lachend sagen: »Oh, Peter, wie du mir mein Bett durcheinanderbringst!«
»Sein Herz wird bersten, Ihr werdet’s schon sehen«, sagt Krenze plötzlich. Und die zerbrechliche Vision der auf dem Sackleinen liegenden Francesca verschwindet sofort.
»Wessen Herz?«
»Das des Königs. Denn überlegt doch, was er alles tun muß: Männer anheuern, eine Stadt errichten, diese versorgen, den Felsen sprengen, das Silber abbauen, es auf dieser teuflischen Route zurücktransportieren. Und dann … das Schwierigste von allem!«
»Was ist das Schwierigste von allem?«
»Ha! Das wißt Ihr nicht? Ihr, die Ihr in Euren eigenen Träumen gefangen wart?«
»Nein, ich glaube nicht, daß ich es weiß.«
»Nun, paßt auf, Lautenspieler! Ihr werdet es bestimmt noch begreifen.«
»Wollt Ihr es mir nicht sagen?«
»Nein. Ich sehe bloß, daß der König einen Kurs eingeschlagen hat, der ihm den Kragen kosten wird.
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