Melodie der Stille: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
der Konvoi hält auf der Straße, als lege die ganze Gesellschaft von Männern und Mauleseln eine Pause ein, um ihm zuzuhören.
Nach dem Stück nickt der König und gibt ihm durch Zeichen zu verstehen, mit etwas anderem fortzufahren. Er erinnert sich aus seiner Zeit in Cloyne an eine irische Pavane, mit der er immer Francesca O’Fingal tröstete, die er aber in Dänemark noch nie gespielt hat. Erst nach ein paar Takten merkt er, daß diese Melodie seine eigene Melancholie nur noch verstärken wird. In dieser Musik lebt und atmet die Erinnerung an das Zuhören der Gräfin, mit aufgestütztem Kopf, und an ihre braunen, großen, strahlenden Augen mit vor Begehren schweren Lidern, die ihm zusahen und ihn streichelten. So bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich dieser Erinnerung hinzugeben und sich, noch während sie ihn umfängt, zu schwören, jetzt zum letztenmal an Francesca zu denken.
Kaum hat er die Pavane zu Ende gespielt, da ist auch schon das Rufen der Kutscher und das Geklimper und Scheuern des Geschirrs zu hören. Langsam setzt sich der Konvoi wieder in Bewegung.
Peter Claire hat jetzt das Gefühl, die Nacht sei gefroren, nicht nur, was das von Sternen beschienene Numedal, sondern auch, was das plötzliche Stillstehen der Zeit angeht. Als der König nun die Schüssel zurückschiebt, ist es, als entledige er sich seiner Krankheit, um zu begreifen, was dem Mann, den er sich zum Engel erkoren hat, durch den Kopf geht. Peter Claire legt die Laute neben sich, die beiden Männer blicken sich an, und in ihren erschöpften Köpfen tauchen viele Fragen auf.
KIRSTEN: AUS IHREN PRIVATEN PAPIEREN
Seit der König nach Norwegen abgereist ist und ich ihn nicht mehr sehen, hören oder riechen kann, fühle ich mich sehr und anhaltend getröstet. Kurz gesagt, ich blühe während seiner Abwesenheit auf, und wenn ich mich jetzt in meinem neuen (schmeichelhafteren) Spiegel anschaue, stelle ich mit Befriedigung fest, daß ich von Tag zu Tag schöner werde.
Ich bete darum, daß er lange Zeit fortbleibt. Das Ausgraben einer Silbermine ist eine kolossale Angelegenheit (wie er mir ja so unbedingt erklären wollte), und mein Mann – mit seiner Neigung, alles im Universum zu überwachen und zu beherrschen – wird vermutlich bleiben wollen, um die Bergleute zu beaufsichtigen, und mit einem derart mit Silber überladenen Schiff zurückkehren, daß es Gefahr läuft, im Skagerrak zu sinken.
Vielleicht versinkt es ja im Skagerrak?
Vielleicht bin ich ja eine glückliche Witwe, bevor das Jahr zu Ende ist?
O mein Gott, es ist wirklich nicht schwer, sich vorzustellen, wie das große Gewicht und die Tonnage Silbererz wie Felsbrocken am Kiel ziehen, während die Segel noch versuchen, das Schiff im Wind dahinfliegen zu lassen. Es gelingt ihnen jedoch nicht, und so neigen sich die Maste, das Schiff bekommt Schlagseite, und die Männer unten spüren den drohenden Untergang und bemühen sich bis zum letzten Atemzug, das Silber herauszuholen und ins Wasser zu schleudern. Doch auch ihre Anstrengungen sind vergebens, denn sie bekommen keine Luft mehr und ertrinken und werden ganz weiß und schwimmen im Meer …
Wenn all dies nun aber nicht eintrifft, was soll ich dann tun?
In der letzten Nacht habe ich geträumt, daß ich mich in einem hohen Turm verbarrikadiert hatte. Wachen standen vor dem Tor und vor der Tür meiner Kammer, und nur wer mein geheimes Losungswort Phantasma kannte, wurde zu mir vorgelassen. Doch leider hatten alle, einschließlich Graf Otto, das ekelhafte Losungswort vergessen, es fiel ihnen auch beim besten Willen nicht mehr ein. So mußte ich den Rest meines Lebens allein bleiben und in unaufhörlicher Einsamkeit alt werden.
(Träume wie dieser sind äußerst irritierend und wenig hilfreich in meinem Dilemma.)
Wenn ich meine Tage nur wie jetzt verbringen könnte, allein gelassen, so daß ich tun kann, was ich will, und jede Nacht Besuch von meinem Geliebten, dann wäre ich zufrieden.
Unsere gegenseitigen Züchtigungen beim Liebesakt, das will ich hier ruhig einmal festhalten, bereiten Otto und mir mittlerweile so viel Entzücken, daß wir geradezu süchtig nach diesen Praktiken sind und ihnen nicht widerstehen können, auch wenn unsere Körper inzwischen geheime Anzeichen wie blaue Flecken und Striemen aufweisen. Otto hat mir erzählt, daß er, wenn er nicht bei mir ist, schon beim bloßen Gedanken an die Schläge, die ich ihm zufüge, in ein Stadium überfließender Erregung gerät. Er läßt jetzt für uns ein paar
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