Melville
mich in die Arme
des Todes zurück.
Dann
öffne ich die Augen. Der Raum ist wahnsinnig grell, aber ich
erinnere mich, dass er eigentlich abgedunkelt ist. Und ich bin sehr
dankbar dafür. Ich ertrage die kleinen Lichter kaum. Ich sehe
Benedict, doch wild wandert mein Blick weiter durch den Raum. Einige
der Zeugen sehen etwas besorgt aus. Benedict hält mich fest im
Griff, er hat wohl verhindert, dass ich bei den mich schüttelnden
Krämpfen von der Liege falle. Ich fühle, wie der folternde Schmerz
in mir langsam abebbt und ich allmählich zurückfinde. Zurück in
meinen Körper. Mein Atem wird immer langsamer, immer flacher und ich
verstehe bald, dass es nur ein alter antrainierter Reflex ist, der
mich dazu treibt es überhaupt zu tun. Ich entlasse sämtliche Luft
aus meinen Lungen und genieße fasziniert das Gefühl, nicht dem
Zwang zu erliegen, sie wieder füllen zu müssen. Benedicts Griff
lockert sich langsam und er erhebt sich. Ich drehe mich herum,
erkenne die kleine, auch mit Blut durchtränkte Pfütze neben der
Liege und denke noch, dass selbst zweitägiger Essensverzicht nicht
verhindern konnte, dass ich mich erbreche. Aber je länger ich mich
konzentriere und in mich horche, desto mehr spüre ich, wie gut ich
mich eigentlich fühle. Meine Muskeln gestärkt und meine Gelenke
willig, springe ich schon fast von der Liege. Ich fühle mich so
vital wie nie, direkt nach meinem Tod.
Und
dann bemerke ich es. Den aufkeimenden Durst, wie stark und
unnachgiebig er ist. Meine Nüstern blähen sich, als sie den Duft
von Blut wahrnehmen. Benedict öffnet ein metallenes Gefäß, legt
den Deckel beiseite und hält mir die Karaffe hin. Und ohne groß zu
zögern, stürze ich den Inhalt in mich. Dickflüssig und warm
gleitet das Menschenblut, mein Ambrosia, durch meine Kehle.
Herrlich!
Doch
es ist wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Und als ich bereits das
nächste Gefäß in seinen Händen erblicke, lasse ich die erste
Karaffe fallen und greife nach der Neuen. Und nur mit der steigenden
Menge in mir, beginne ich meine Umwelt rationaler wahrzunehmen. Sehe
immer mehr Details um mich herum und vergesse langsam den rasenden
Hunger, den ich eben noch empfand. Benedict macht einen zufriedenen
Gesichtsausdruck, als er mir das letzte Behältnis abnimmt und fragt
„Wie
fühlst du dich, Melville?”. Ich brauche etwas, um Luft zu holen
und meine Stimmbänder in Schwingung zu versetzen und mit leicht
rauer Stimme antworte ich
„Ich
war noch nie so lebendig wie jetzt.”.
Meine neue Welt
„Das
ist das Elysium, Melville, die Machtzentrale der Domäne London.“
und mit einer ausladenden Geste deutet er in den Empfangsbereich, den
ich nun das erste Mal betrete. Und ich bin wirklich beeindruckt.
Hochglanzpolierte Marmorböden, hohe stuckverzierte Decken und
Luxusornamente soweit das Auge reicht. Ja, es ist wirklich ein
würdiges Hauptquartier. Einige Wesen der Nacht halten sich in dieser
ehrwürdigen Halle auf und ein paar von ihnen betrachten mich und
Benedict aufmerksam. Er schreitet voran und ich gehe ihm hinterher.
„Hier
laufen alle Fäden zusammen und sämtliche wichtigen Entscheidungen
werden hier getroffen. Primogensitzungen, offizielle Termine mit der
Prinzregentin, diplomatische Treffen und größere Veranstaltungen
der Domäne sind hier beheimatet.”.
Ich
erkenne, wie einige der Anwesenden beim Vorbeigehen Benedict höflich
grüßen oder sich einfach nur kurz stumm verbeugen. Ein Mann geht
auf Benedict zu und reicht ihm die Hand.
„Mr
Cansworth, die Prinzregentin erwartet Sie und Ihr Küken bereits.”.
„Danke,
Mr Matherson, wir werden uns sofort zu Ihr begeben.”. Ich werde
mich heute Ms Youngfield präsentieren, unserer geschätzten
Prinzregentin, die Herrscherin über London.
Wir
gehen Richtung Fahrstuhl und Benedict erläutert weiter.
„Das
eben war Mr Matherson, der Senegal des Elysiums. Er kümmert sich um
sämtliche Verwaltungsaufgaben innerhalb der Domäne. Wenn du also
einmal einen Termin oder Dokumente benötigst, ist er der richtige
Ansprechpartner.“. Ich höre ihm aufmerksam zu. Jetzt, als Untoter,
erhalte ich sämtliche Informationen, die ich zum Agieren und
erfolgreichen Manövrieren innerhalb unserer Gesellschaft brauche.
Wir treten in den Fahrstuhl und er vergewissert sich noch einmal,
dass ich mir gegenüber Ms Youngfield auch wirklich bewusst bin, wie
ich mich zu verhalten habe. Er ist mit meinen Ausführungen zufrieden
und wünscht, dass ich mich auch wirklich an sie halte.
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