Memento - Die Feuerblume: Band 2 (German Edition)
doch sein Kinn kräuselt sich, als wollte er etwas sagen. Das Schnaufen und Zischen kommt von einer großen, kastenförmigen Metallapparatur, die seine Brust umschließt und vermutlich seine Lunge in Betrieb hält. Sauerstoffschläuche reichen von beiden Seiten der Apparatur in seine Nasenlöcher. Für einen Moment stellt Partridge sich vor, die Schläuche zuzudrücken – ein Bild, das nur kurz vor seinen Augen schwebt, doch er kann nicht bestreiten, dass er es sich bis ins kleinste, farbigste Detail ausmalt: wie sein Vater nach Luft schnappt wie ein Fisch, den Mund weit aufgerissen, die Backen bis zum Zerreißen gespannt.
»Partridge«, flüstert sein Vater, als der Kasten auf seiner Brust Luft einsaugt. »Ich wusste, dass du zurückkehrst.«
»Aber nicht gerade freiwillig«, erwidert Partridge.
»Du bist zurückgekehrt …« Im Inneren der Apparatur zieht sich seine Lunge zusammen und erweitert sich wieder. »… weil du mich nicht hasst. Sag mir, dass du mich nicht hasst.«
»Willst du dich jetzt von deiner sensiblen Seite zeigen? Nach all den Jahren?«
Sein Vater öffnet die Augen und blinzelt mit leicht vernebeltem Blick ins Neonlicht. Die Haut an seiner Klauenhand und an seinem Hals schimmert, als wäre sie in eine zweite Haut gehüllt, in eine durchsichtige, fast schon polierte Schicht. »Ich habe eine Welt für dich eingerichtet, hier im Kapitol. Eine Welt, in der du reisen kannst. Und ein Mädchen. Weißt du das denn nicht?«
»Du willst mir ein Mädchen schenken?« Partridge krallt sich ans Bettgeländer.
Sofort beugt sich der Wachmann vor. »Sir?«
»Alles in Ordnung«, erwidert Willux. »Er hat eben Temperament. Er ist jung.«
»Ach ja, Glückwunsch«, sagt Partridge. »Zur Hochzeit.«
»Sei nicht so bockig.«
»Du bist ganz schön krank.«
»Ich sterbe.«
»Das hab ich nicht gemeint.«
»Und? Wirst du annehmen …« Die Maschine gluckert. »… was ich dir biete? Du bist hier ein Held.«
»Ich will kein Held sein.«
»Was dann?«
»Ich will ein Anführer sein.«
Sein Vater drückt einen anderen Knopf an der Bettkante. Das Kopfteil fährt hoch. »Darauf habe ich gewartet … dass du diese Worte sagst.«
»Im Ernst?«
»Wer soll mich denn sonst ersetzen? Wer, wenn nicht mein Sohn?« Er hebt die gesunde Hand, legt sie auf Partridges Wange und betrachtet ihn mit feuchten, leuchtenden Augen. Partridge hat seinen Vater noch nie weinen gesehen. Sedge war sein Liebling. Sedge war auserkoren, Großes zu erreichen.
»Ist das denn noch möglich?«, fragt er.
»Ja. Du kannst sie ins Freie führen. Ich schaffe das nicht mehr.«
»Ins Freie? Also ins Neue Eden?«
»Ich schaffe das nicht mehr.«
»Das traust du mir wirklich zu?« Vielleicht muss Partridge seinen Vater gar nicht umbringen, vielleicht muss er nicht mal seinen Tod abwarten. Vielleicht wird er ihm alles schenken, was er will.
Sein Vater zieht die Hand zurück. »Doch zuvor musst du beweisen, dass du bereit bist, die Vergangenheit hinter dir zu lassen und an unserer Seite voranzuschreiten, hier im Kapitol. Du musst es nicht nur mir, sondern auch meinem Führungszirkel beweisen, der die Wahrheit über deine Flucht kennt.«
Das klingt gar nicht gut, denkt Partridge. »Und wie soll ich es beweisen?«
»Es muss schnell gehen.«
»Ja, aber was willst du von mir?«
Der Metallkasten auf der Lunge seines Vaters stottert und stößt ein gedehntes Zischen aus. »Dein Hirn.«
»Mein Hirn?« Partridge wird übel. »Was ist damit?«
»Deine Erinnerungen an deine Zeit in der Fremde, an das Mädchen mit den blauen Augen und an die Unglückseligen, mit denen du dich eingelassen hast, an die ganze Außenwelt – sie müssen verschwinden.«
»Was? Nein!«
»Aber wirst du denn nicht vom Anblick des Todes verfolgt?«
Partridge schreckt vom siechenden Körper seines Vaters zurück, geht zur gegenüberliegenden Wand und legt die gespreizten Hände auf die kühlen Fliesen. Mit einem scharfen Klicken landet die Kappe seines kleinen Fingers auf den Kacheln. »Vom Anblick des Mordes«, flüstert er.
»Auch das können wir auslöschen. Alles Schlechte, Hässliche, Dunkle.«
Sedges blutüberströmter Körper taucht vor ihm auf, das zerplatzende Gesicht seiner Mutter, als der Schädel seines Bruders explodiert. Blut. Ein dünner Blutfaden, der zerspringt wie eine berstende Wolke. Einen Moment lang wünschte er tatsächlich, all das würde verschwinden, die ganzen Erinnerungen. Aber er kann sie nicht aufgeben. Damit würde er alles
Weitere Kostenlose Bücher