Memiana 1 - Ewige Wacht: 1 Xeno 1.2 (German Edition)
Vorspiel beendet war und Mareibe den Mund öffnete, wurde es mit einem Mal totenstill im Raum. Jarek hatte Mareibe noch nie singen gehört, aber jetzt staunte er wie alle anderen. Mareibes Stimme war klar und voller, als man sie bei einem so schmalen Wesen erwartet hätte. Sie stand aufrecht, mit hoch erhobenem Kopf, die Hände in die Hüften gestützt, lächelte leicht und sah die ganze Zeit nur Parra an. Doch es war nicht nur ihre Stimme. Es war das Lied selbst, das alle den Atem anhalten ließ.
Mareibe sang Parras Geschichte. Es war die Ballade von einem kleinen Mädchen auf einer gefährlichen Reise, das eine Gruppe merkwürdiger Leute traf und sich mit einer jungen Frau mit hellen Haaren anfreundete.
Jarek warf Yala und Parra einen kurzen Seitenblick zu und sah, dass beide Mareibe gebannt beobachteten und auf ihre Worte lauschten. Parra hatte ihre kleinen Hände um Yalas gelegt, auf deren Schoß sie noch immer saß. Jetzt klammerte sich die Kleine fest an die junge Vaka, als die Worte Mareibes furchterregende Bilder malten, beschrieben, wie die Schüsse fielen, als die Räuber angriffen und das kleine Mädchen zitternd hinter dem Felsen lag. Jarek spürte die Angst und das Entsetzen des Kindes tief in sich, als Mareibe davon sang, wie die Mutter von dem Splitterprojektil getroffen wurde, und er hörte geradezu den verzweifelten Schrei Parras, der im Tal widerhallte.
Und dann sah er Yala, die den Ruf vernahm, ihren Stecher zog und losrannte, nur von dem einen Gedanken getrieben, das kleine Mädchen zu retten, und bereit war zu sterben, wenn ihre Freundin nur am Leben blieb. Und Yala setzte sich an die Spitze der Helfer, warf sich auf den ersten Feind, der sich ihr in den Weg stellte, und brachte so die Rettung für alle. Und wenn Parra heute im Graulicht wach lag und manchmal zitterte, weil sie sich an den Schrecken erinnerte, dann musste sie nur an Yala denken und fühlte die Ruhe und die Geborgenheit, die nur ein Mensch kennen konnte, der einen Freund besaß.
Die letzten Töne verklangen und es herrschte Stille im ganzen Raum. Dann hob Hama die Hände und fing an zu klatschen und andere fielen ein, ein ohrenbetäubender Lärm aus Trampeln, Rufen, Jubel, Pfiffen erhob sich, alle standen von ihren Plätzen auf und der Festraum summte wie ein Robel Schwärmer.
„Das war die Ballade vom Kampf in Yalas Tal der Schatten vor Utteno. Vielen Dank.“ Mareibe verbeugte sich einmal knapp, lächelte der Frau an der Flöte zu, die ihr mit einem tief bewegten Gesichtsausdruck zunickte, und ging zurück zum Tisch, an dem die Gefährten saßen.
Jarek fühlte, wie sich die Haare auf seinen Armen langsam wieder legten, und es war kein Schrecken gewesen, der ihr Aufrichten bewirkt hatte.
Carb und Adolo sahen die kleine Solo mit Blicken an, als sähen sie sie zum allerersten Mal.
Parra hatte sich an Yala geklammert, den Kopf auf ihre Schulter gelegt und strahlte Mareibe an, als die hinter die beiden trat, sich bückte und ihr Gesicht dem von Parra näherte, wodurch sie auch an Yalas Ohr gelangte. „Dieses Lied schenke ich dir“, flüsterte sie und Jarek wusste, dass Mareibe damit nicht Parra meinte.
Yala liefen die Tränen über die Wange und sie wischte sie mit dem Handrücken fort.
Mareibe setzte sich an ihren Platz, als sei nichts Besonderes geschehen und nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Becher.
Gegen alle Gewohnheit war es Hama, der als Erster sprach. „Da glaubt man, man wüsste über einen Menschen Bescheid, und kaum hat man den Gedanken beendet, zeigt er einem eine ganz andere Seite. Mareibe, du überraschst mich immer wieder. Und das gelingt nicht vielen.“
Mareibe sah den alten Solo etwas verlegen an, dann grinste sie frech. „Ich gebe mir auch viel Mühe.“
„Das war so schön!“, sagte Parra ergriffen.
Mareibe fuhr ihr mit der Hand über den Kopf und lächelte. „Und dabei kommen nicht einmal Cavo in meinem Lied vor.“
Parra streckte Mareibe zu Zunge raus und beide lachten.
„Wann hast du dir das ausgedacht?“, fragte Jarek. „Unterwegs?“
Mareibe schüttelte den Kopf. „Da hatte ich was anderes im Sinn. Überleben, zum Beispiel. Das Lied ist mir eben gerade eingefallen.“
Die anderen sahen sie prüfend an, ob sie nur einen Scherz machte, aber offenbar hatte sie das ernst gemeint. Mareibe bemerkte die Blicke. „Ich bin ganz gut mit Wörtern“, erklärte sie, als sei damit alles gesagt.
Carb sah sie mit glänzenden Augen an. „Du bist schon etwas ganz Besonderes.“
Mareibe
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